Der UroBlog
von Dr. Thomas
Henkel (Berlin)
 

LDR-Brachytherapie 2020 – eine Bestandsaufnahme.

 

Was ist LDR-Brachytherapie?

 

LDR (Low Dose Rate) - Brachytherapie, bekannt auch als permanente Seedimplantation, bedeutet das intra-prostatische Einbringen von kleinen radioaktiven Strahlenquellen (sogenannte Seeds) mit niedriger Dosisleistung. Durch die Seeds wird der Tumor mit einer Gesamtdosis von 145 Gy über einen Zeitraum von mehreren Monaten bestrahlt. Durch die geringe Dosisleistung und den steilen Dosisabfall im Gewebe kann eine sehr hohe Dosis in der Prostata erzielt werden bei gleichzeitig maximaler Schonung der Risikoorgane wie Enddarm, Blase oder Harnröhre. Dies führt zum einen zu einer sehr hohen Heilungsrate und zum anderen zu einem guten Risikoprofil der Behandlung mit deutlich reduzierten Nebenwirkungen insbesondere im Hinblick auf Inkontinenz und Impotenz.

 

Der Eingriff dauert in der Regel ca. 60-90 Minuten und wird in Vollnarkose durchgeführt. In Deutschland wird hauptsächlich das Isotop Jod-125 genutzt. Dieses hat eine Halbwertszeit von 60 Tagen. Nach 5 Halbwertszeiten (10 Monate) ist nur noch 1/32 der Ausgangsaktivität vorhanden. Nachdem der Patient in Steinschnittlage gelagert wurde, wird die Prostata planimetrisch vermessen und eine Dosimetrieplanung angefertigt. Auf Basis des berechneten Plans werden die Seeds über Hohlnadeln in die Prostata eingebracht. Hierzu nutzt man ein sogenanntes Template als Führungshilfe. Dies geschieht unter permanenter Ultraschallkontrolle, die meisten Zentren nutzen simultan Röntgen-Durchleuchtung zur Lagekontrolle der Seeds. Die meisten Anwender verwenden heutzutage Seedketten, da dadurch die extraprostatische Abwanderung der Seeds (Seedmigration) fast ausgeschlossen werden kann.

 

Ein kurzer historischer Rückblick

 

Die LDR-Brachytherapie ist den meisten Urologen in Deutschland ein Begriff. Die Behandlungszahlen stiegen in den neunziger Jahren in USA/ Kanada rasant an, das gleiche Phänomen konnte in Europa zu Anfang des neuen Millenniums beobachtet werden. Mittlerweile steht die LDR-Brachytherapie als Therapieoption für die Behandlung des Prostatakarzinoms seit zwei Jahrzehnten in Deutschland zur Verfügung.

 

Ende der neunziger Jahre wurde das Prostatakarzinom in drei Gruppen nach der D´Amico Klassifikation unterteilt – low, intermediate und high risk.1 Der Patient mit niedrigem Risiko wurde wie folgt charakterisiert: Stadium T1c/T2a, PSA < 10 ng/ml und eine Summe für den Gleason-Score ≤ 6. Die Patienten dieser Risikogruppe konnten der LDR-Brachytherapie zugeführt werden.

 

Der Patient mit mittlerem Risiko entsprach dem Stadium T2b, einen PSA von 10–20 ng/ml und ein Gleason-Score von 7. Weitere Risikomerkmale wie der prozentuale Anzahl der karzinom-befallenen Stanzen (Tumormenge) und der individuelle Gleason-Score pro Stanze konnten die Aufteilung in ein günstiges oder ungünstiges intermediäres Stadium präzisieren. Auch diese Patienten konnten gemäß internationaler Leitlinien mittels Brachytherapie behandelt werden.

Die ISUP Modifikationen des Gleason Scores aus 20052 und 20143 führten letztendlich zu einer neuen Aufteilung in 5 prognostisch unterschiedliche Graduierungsgruppen4:

 

  • Gruppe 1 = Gleason 6
  • Gruppe 2 = Gleason 3+4=7a
  • Gruppe 3 = Gleason 4+3=7b
  • Gruppe 4 = Gleason 4+4=8
  • Gruppe 5 = Gleason 9-10

 

Internationale Anerkennung

 

Dieses Gruppierungssystem ist von der WHO 2016 aufgenommen worden und gilt nun als globaler Standard.5

 

Die LDR Brachytherapie ist seit langem als Monotherapie in den internationalen Leitlinien der ABS und EAU verankert.6 Als mögliche Therapieindikation wird sie 2000 in den Leitlinien der ESTRO/EAU und der EORTC für Prostatakarzinome mit GS 6 und GS 7 benannt.7

 

Die Aktualisierung der europäischen EAU/ESTRO Leitlinie 2017 hat die LDR-Brachytherapie als Behandlungsoption für das niedrig-Risiko (ISUP Gruppe 1) und das günstige intermediär-Stadium (ISUP Gruppe 2) zugelassen. Als Vorlage konnten hierfür die 2016 erschienenen NCCN (National Comprehensive Cancer Network) Guidelines dienen.8

 

Die klinische Akzeptanz der LDR-Brachytherapie hat es in Deutschland jedoch nie leicht gehabt.

 

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) erstmals 2004 mit einer Nutzenbewertung beauftragt. Nachdem der erste HTA-Bericht (Health Technology Assessment) aus Mangel an prospektiv randomisierten Studien negativ ausfiel, kam das Thema 2009 erneut auf die Agenda.9

 

Da noch immer die geforderte Qualität der Evidenz fehlte (die es auch für die anderen Therapieoptionen nicht gibt), hatte das Gremium eine groß angelegte, 4-armige Studie (PREFERE-Studie) initiiert, die bis 2030 laufen sollte.

Auf dieser Basis beschloss der G-BA, die Methodenbewertung bis 2030 auszusetzen, d.h. bis die Ergebnisse von PREFERE vorliegen würden.

Ende 2016 gaben die Studienverantwortlichen das vorzeitige „Aus“ von PREFERE bekannt. Es war nicht gelungen, genügend Patienten für die Teilnahme zu rekrutieren – „nun stehen wir fast am gleichen Punkt wie 2004“, beklagte der stellvertretende IQWiG-Leiter Stefan Lange.

 

Als Konsequenz hat der G-BA 2017 das IQWiG mit einem Update der Nutzenwertung beauftragt. Am 19.10.2018 wurde der Rapid Report mit der Kernaussage veröffentlicht: Nutzen der LDR Brachytherapie bei Prostatakrebs im Frühstadium bleibt immer noch unklar.

 

Klinische Anerkennung: Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms

 

Die deutsche interdisziplinäre S3-Leitlinie des Prostatakarzinoms ist seit 2011 hinsichtlich der LDR-Brachytherapie nicht aktualisiert worden. Hier wird nur das Niedrig-Risiko-Stadium (Gleason 6) als Behandlungsoption zugelassen, der günstige Gleason Score 7a und die sonstigen fortgeschritteneren Tumorstadien werden nicht berücksichtigt.

 

Dies hatte zur Folge, dass für viele Patienten die Kostenübernahme von der jeweiligen Krankenkasse für die Durchführung der LDR-Brachytherapie im Laufe des letzten Jahrzehnts abgelehnt wurde, da der MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) immer wieder auf die veraltete deutsche S3-Leitlinie zur LDR-Brachytherapie verweisen konnte.

 

Eine Anpassung wie in den anderen Leitlinien (NCCN, EAU, ESTRO, EORTC) wird hoffentlich bis Anfang nächsten Jahres für die deutschen S3-Leitlinien stattfinden (persönliche Mitteilung).

 

Gemäß internationaler Leitlinien kann ein Hoch-Risiko Patient mit den Kriterien Stadium cT2c, oder einem Gleason-Score von 8, 9 oder 10 oder einem PSA > 20 ng/ml mit einer sogenannten Kombinationstherapie behandelt werden. Hier werden 110 Gy Brachytherapie mit einer externen Bestrahlung mit 45 Gy und einer adjuvanten Hormontherapie kombiniert.

 

Mittlerweile haben einige Autoren über diese Behandlung von Hoch-Risiko Patienten berichtet10,11,12,13,14,15. Es konnte prospektiv randomisiert gezeigt werden, dass ungünstige Intermediate Risk- (Gruppe 3) und High-Risk-Patienten (Gruppe 4 und 5) mittels der Kombinationstherapie effektiv behandelt werden können. Die Studien konnten einen signifikanten Vorteil des rezidivfreien Überlebens der Kombination gegenüber der alleinigen Radiation mit Hormontherapie nachweisen.

 

In Deutschland sollten solche Behandlungen immer in Absprache zwischen den beteiligten Strahlentherapeuten, Brachytherapeuten und dem behandelnden Urologen stattfinden.

 

Müssen wir uns über die Zukunft der LDR Brachytherapie in Deutschland Sorgen machen?

 

Diese Fragestellung muss von mehreren Seiten betrachtet werden.

 

Abbildung in den Leitlinien: Die Brachytherapie sollte im kommenden Update der deutschen S3-Leitlinie für die Behandlung aller Graduierungsgruppen entweder als Monotherapie oder in Kombination berücksichtigt werden. Nur so kann die Diskussion mit den MDKs ein Ende haben.

 

Ausbildung: Die Brachytherapie sollte integraler Bestandteil der urologischen Ausbildung werden. Nur so kann sie jungen Kollegen nahegebracht werden, damit sie diese Therapie ihren Patienten anbieten können. Die Kollegen sollten erfahren, dass die Brachytherapie ein gleichwertiges Verfahren zur Behandlung des Prostatakarzinoms wie die Radikaloperation und die externe Bestrahlung ist.

 

Zulassung: Der G-BA berät derzeit über die Zulassung der Brachytherapie. Hier sollte klargestellt werden, dass die Brachytherapie zumindest im stationären Bereich in der Regelversorgung aufgenommen bleibt. Es existiert seit über 15 Jahren eine DRG-Ziffer (M07z) zur Erbringung der Brachytherapie im stationären Bereich.

 

Wenn diese Punkte erfüllt sind wird die Brachytherapie auch in Zukunft eine wichtige Rolle zur Behandlung des Prostatakarzinoms einnehmen.

REFERENZEN