“Der Onkologe horcht auf“
Das chronische Fatigue-Syndrom. Schon beim Nennen dieser Diagnose läuft es vielen unter uns eisig den Rücken herunter. Ein unbeliebtes Thema. Es ist schwer greifbar, eine Diagnosestellung mittels Score-Erfassungsbögen wird sicher nur von einer Minderheit und wenn überhaupt, dann im Rahmen von Studien erfasst. Warum ist das so? Die Beschäftigung mit Patienten, die über ein CFS klagen, ist zeitaufwendig. Und: Die therapeutischen Möglichkeiten sind gelinde gesagt begrenzt. Umso hoffnungsvoller stimmt uns, dass sich immer wieder Arbeitsgruppen im Rahmen von Studien diesem Thema widmen. Das CFS ist bei Patienten ein großes Thema. Manchmal dominiert es –insbesondere in palliativen Therapieszenarien – die Lebensqualität unserer Patienten wesentlich stärker als die differenzierten Therapiekonzepte und deren positive Auswirkungen auf die hämatologische oder onkologische Erkrankung.
Am einfachsten wäre es, in diesem Dilemma aus Not bei den Betroffenen und dem Zeitdruck bei den Behandelnden einfach zum Rezeptblock zu greifen und eine Tablette zu verschreiben. Diesen Ansatz verfolgt die Alliance 221101 Phase III Studie. Doppelt verblindet und randomisiert: Der Onkologe horcht auf. Schwierig in der Bewertung der für die Studie rekrutierten highgrade Gliom-Patienten ist dabei sicher der störende Einfluss durch die parallele Einnahme von Corticosteroiden, das knapp 40% der Patienten übergreifend in den beiden Dosis-eskalierten Studienarmen und im Placebo-Arm erhielten. Der erhalten gebliebene Nachtschlaf trotz Cortison der Probanden in der Gruppe mit 150mg Armadofil-Einnahme, einem zusätzlich ebenfalls eher anregenden und Aufmerksamkeits-steigernden Medikament mit geringem Abhängigkeitspotenzial, bedarf daher sicher einer sehr differenzierten Betrachtung. Interessant ist in diesem Zusammenhang sicher auch, dass die in palliativen Konzepten oft zur Anregung verordnete Corticosteroid-Einnahme die empfundene Fatigue bei vielen Studienteilnehmern eher noch gesteigert hat, möglicherweise als Folge der Störungen ihrer nächtlichen Ruhe. Dennoch: Insgesamt ist die Studie im Sinne einer Verbesserung des CFS negativ, trotz durchschnittlich etwas verbesserter Aufmerksamkeit in der Gruppe mit einer täglichen Armodafinil 150mg Einnahme! Die Tablette ist zum Leidwesen aller offensichtlich aktuell noch kein Weg in das aktive Leben.
Ein etwas anderes Bild zeichnet die multizentrisch angelegte PERFECT Studie aus den Niederlanden. Hier wurden zwei Patientengruppen nach perioperativer Radiochemotherapie und OP mit Ösophaguskarzinom in zwei Gruppen randomisiert: Eine Gruppe erhielt 12 Wochen ein Ausdauertraining, die anderen Patienten der Vergleichsgruppe wurden nicht körperlich aktiviert. Der globale Gesundheitsstatus beider Gruppen war im Ergebnis gleich, in Sub-Skalen schnitt die Sport-Gruppe aber besser in Bezug auf Rollenfunktion, Lebensqualität und kardiologische Fitness ab. Eine Erschöpfung bewirkte das Trainingsprogramm bei den Probanden nicht. Vereinfacht formuliert: Im Gegensatz zur Pille in der Alliance-Studie bewegt das körperliche Training die Patienten im Wortsinn positiv. Die Compliance der Belastungsgruppe war exzellent. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit Erfahrungen in unserem Onko-Ticker-Team: Zurück in die Aktivität, ins gestaltete Leben kann ermöglicht werden durch gemeinsame sportliche Aktivität (Mehr dazu in unserem Erfahrungsbericht weiter unten). Ein Angebot, das sicher in Zukunft immer mehr Patienten bereitgestellt werden sollte! Denn was das Training in der PERFECT-Studie durch ihr im ersten POSToperativen Jahr stattfindendes Studiendesign möglicherweise nicht abbildet: BEGLEITEND zu einer Therapie könnte eventuell durch Erhalt von körperlicher Fitness und geistiger Leistung auch die Adhäsion an die onkologische Behandlung steigen. Und damit möglicherweise dadurch dann doch eine andere Prognose der Grunderkrankung entstehen.
Die Beschäftigung mit dem CFS mag vielen von uns lästig sein. Im Leben unserer Patienten bewirkt eine Verbesserung jedoch viel. Nur: Aktiv werden scheint der Schlüssel zum Erfolg, die Tablette hat beim CFS einmal mehr das Nachsehen…
Autor
Arne Müßig, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie am MVZ Havelhöhe, Berlin