Was genau bedeutet ASV für meine Praxis und mein Team?
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich für meinen Teil finde mich immer häufiger vor dem Aufklärungsgespräch mit meinen Patienten über eine Therapie beim Studium der Fachinformationen wieder Wie war noch der genaue Text? Nur First-line oder First-line und Second-line, letzteres nach wem oder was? Mit jeder neuen Zulassung erweitert sich das Feld der Möglichkeiten und gleichzeitig wird es unübersichtlicher. Schon lange sind wir weit davon entfernt, dass „neue“ Therapien miteinander Head-to-Head verglichen werden können. Die Onkologie folgt dem allgemeinen Trend des immer schnelleren Wandels. Die Auswahl der wahrscheinlich am besten wirkenden und gleichzeitig für diese Situation zugelassenen Behandlung erfordert häufig eine intensivere Recherche.
Nicht dass ich damit hadere! Jede Option, die unseren Patienten die Möglichkeit bietet, erfolgreich ihre Erkrankung zu bekämpfen, ist herzlich willkommen.
Gerade sitze ich an meinem Schreibtisch und erwarte einen Patienten mit einem Hepatozellulären Karzinom. Er erhielt gemäß dem Standard vor wenigen Monaten nach lokalen Maßnahmen (TACE, RFA) eine Systemtherapie mit Lenvatinib. Hierunter ist seine Erkrankung nun progredient. Eine Second-line-Behandlung ist das Ziel des heutigen Gespräches.
Ich freue mich über eine Erweiterung des Spektrums der therapeutischen Möglichkeiten durch die Zulassung einer Immun-Antikörpertherapie mit Atezolizumab und Bevacizumab. Die Daten sind vielversprechend, die sowohl im progressionsfreien sowie im Gesamtüberleben eine Verbesserung erreichen. Die Zulassung beschränkt sich jedoch bisher auf die First-line. In Anbetracht der Kosten für diese Therapie ist ein Einsatz in dieser Situation nur mit einem Antrag bei der Krankenkasse möglich. Ich überlege, welche weiteren zielgerichteten Behandlungsoptionen ich dem Patienten vorschlagen kann. Es bestehen Zulassungen für Sorafenib, Cabozantinib, Ramucirumab und Regorafenib. Bei genauerer Betrachtung bleibt jedoch „nur“ Sorafenib übrig, da alle anderen Substanzen im Zulassungstext vermerkt haben, dass sie nach Sorafenib einzusetzen sind. Damit reduziert sich die therapeutisch zugelassenen Optionen nach Levantinib First-line auf Sorafenib Second-line.
Natürlich waren wir in den vergangenen Jahren mit der Option Sorafenib in der Behandlung des Hepatozellulären Karzinoms in der ersten oder zweiten Linie einverstanden. Es war systemisch lange der Goldstandard. Ich erinnere mich noch gut an die Session auf dem ASCO, als die Daten erstmals vorgestellt wurden und wir haben uns über diese Option gefreut. Einige Jahre später gibt es jedoch Alternativen, die zumindest vergleichbar erscheinen und im Falle der Immun-Antikörpertherapie besteht ein Vorteil bezüglich des PFS und OS im direkten Vergleich zu Sorafenib.
Wie gehe ich nun im Gespräch mit dem Patienten vor? Kann ich dem Patienten die Behandlung mit Atezolizumab/Bevacizumab vorenthalten? Wähle ich Sorafenib als Second-line-Option, um den Zugang zu weiteren zielgerichteten Substanzen in späteren Linien zu ermöglichen? Kann ich einfach eine Option auswählen und darauf hoffen, dass ich keinen Regress bekomme?
Ich weiß, dass das HCC nicht lange mit dem weiteren Progress warten wird. Dennoch beschließe ich, einen Antrag an die Krankenkasse zu schreiben und die Immun-Antikörpertherapie genehmigen zu lassen. Das Ganze in der Hoffnung, dass der Mitarbeiter der Krankenkasse beziehungsweise der/die Kollege(-in) beim Medizinischen Dienst mein Dilemma versteht und mir rasch eine Antwort gibt.
Bis dahin gebe ich meinem Patienten Sorafenib – der Einzelfall ist keine Studie und beim nächsten Staging werde ich wissen, ob ich eine weitere Therapieoption benötige.
Autor
Olav Heringer, Gemeinschaftspraxis für Hämatologie und internistische Onkologie im Fachärztezentrum Medicum, Wiesbaden