Wegbereiter zum
Präzedenzfall?

Zirkulierende Tumorzellen beim TNBC

 

Next step: indikationsunabhängige Therapie

 

San Antonio ist immer eine Fundgrube für Erfreuliches und Ernüchterndes rund ums Thema Mammakarzinom. Das triple-negative Mammakarzinom ist bekanntermaßen leider häufiger in der zweitgenannten Rubrik zu finden. So auch in der beim 2019er Meeting präsentierten Teilauswertung der 2014 gestarteten Phase-II-Studie „BRE12-158“. Ausgewertet wurde in der aktuellen Präsentation die Wahrscheinlichkeit des Rezidivrisikos nach erfolgter neoadjuvanter Chemotherapie (NACT), OP und postoperativer Bestrahlung in Abhängigkeit von der Anwesenheit zirkulierender Tumorzell-DNA postoperativ.

 

148 Patientinnen (von 151 eingeschlossenen) standen für eine lückenlose Dokumentation des weiteren Behandlungsverlaufes zur Verfügung. Von diesen 148 wurde bei 94 Patientinnen (64%) zirkulierende Tumorzell-DNA detektiert. Dieser Nachweis korrelierte in einer uni- und multivariaten Analyse als unabhängiger negativer Prädiktor für ein schlechteres 24-Monats-krankheitsfreies-Intervall (53% Tumorzell-DNA-positiven Gruppe vs. 81% in der Tumorzell-DNA-freien Gruppe) und auch für das Gesamtüberleben. Zunächst ist dieses Ergebnis ohne therapeutische Konsequenz und wäre bei Messung des Parameters außerhalb von Studien aus psychologisch naheliegenden Gründen schwierig mit betroffenen Patientinnen zu kommunizieren. Aus diesem Grund muss also der Vorhang für die in die Studie nicht tiefer Eingedachten weiter aufgezogen werden, damit man Kontext und ggf. in Zukunft daraus hervorgehende therapeutische Bedeutung besser versteht.

 

Die BRE12-158-Studie ist nämlich vorrangig für die Beantwortung einer der beim SABCS präsentierten Teil-Auswertung übergeordneten Fragestellung konzipiert: Die Phase-II-Studie beschäftigt sich primär mit der Evaluation des Effektes einer postneoadjuvanten Therapie nach NACT, OP und Bestrahlung. Der experimentelle Arm der Studie wird nach Abschluss der Bestrahlung einer FoundationOne molekularen Diagnostik (FoundationOne liquid) zugeführt. Diese molekulare Diagnostik untersucht 70 aktuell bekannte DNA-Veränderungen, die in die Onkogenese eingreifen – eine Auflistung der analysierten Gene findet sich hier.

 

Einige dieser im FoundationOne liquid assay untersuchten 70 Gene/Mutationen/Rearrangements werden bereits bei verschiedenen malignen soliden und hämatologischen Erkrankungen therapeutisch medikamentös adressiert. Das Besondere an dem Konzept der BRE12-158-Studie ist, dass der experimentelle Arm nun aufgrund dieser molekularen Analyseergebnisse entsprechende Therapeutika in der Postneoadjuvanz erhält (FDA-zugelassene Medikamente, die Zuordnung der Medikation zum individuellen Befund erfolgt über ein zentrales molekulares Therapieboard).

 

Der konventionelle Therapiearm erhält die Therapie nach Wahl des Patientinnen-Arzt-Gespanns, im Normalfall also „nur“ die Observation, da bisher keine Erkenntnisse über eine sinnvolle geschweige denn zugelassene Postneoadjuvanz beim triple negativen Mammakarzinom vorliegen. In Einzelfallentscheidungen dürften die Patientinnen im nichtexperimentellen Vergleichsarm in der Studie aber auch eine Therapie nach physicians-choice erhalten.

 

Das Konzept einer nur aufgrund molekularer Diagnostik zugeordneten Therapie ungeachtet der Tumorentität ist in Europa relativ neu. Außer bei der Zulassung von Larotrectinib bei NTRK-Fusionsgen-Nachweis gibt es hierzulande aktuell (Stand 01/2020) kein weiteres Entitäts-übergreifendes rein molekulardiagnostisch-zugeordnetes Therapeutikum. (Anmerkung: Diese NTRK-Fusionsgene werden bei dem FoundationOne liquid Test der BRE12-158 Studie nicht miterfasst, Larotrectinib dürfte also kein verwendetes Therapeutikum innerhalb des experimentellen Arms der Studie sein.)

 

In der BRE12-158-Studie werden demnach gleich zwei progressive Fragestellungen gestellt:

 

  1. Ist zumindest für eine Patientinnen-Subpopulation beim triple-negativen Mammakarzinom eine molekulardiagnostisch-individualisierte Postneoadjuvanz ein das outcome verbesserndes Konzept?
  2. Hilft die molekulare Diagnostik durch nur auf dieser Entscheidungsgrundlage basierenden Zuordnung zum Therapeutikum ungeachtet der Tatsache, dass ein triple-negatives Mammakarzinom behandelt werden soll, beim Erreichen dieser potenziellen Outcome-Verbesserung.

 

Insbesondere dieser zweite Aspekt wäre bei einem deutlich positiven Ergebnis ein weiterer Meilenstein und damit möglicher Weg-Ebner zum Präzedenzfall, dass insbesondere molekular adressierte Therapiekonzepte in mittlerer Zukunft ausschließlich einer entsprechenden molekulardiagnostischen Begründung benötigen, oder ungeachtet des zugrundeliegenden zu therapierenden Malignoms.

Den europäischen Zulassungsbehörden werden sich bei diesem Szenario erneut (siehe Larotrectinib) die Nackenhaare aufstellen, die FDA ist mit diesen gruppierten Zulassungen (siehe Immuntherapie und MSI) bereits länger vertraut und scheint diesbezüglich niedrigere Hürden aufzubauen. Ob tatsächlich eine molekular adressierte Therapie beim triple-negativen Mammakarzinom postneoadjuvant sinnvoll ist oder auch andere Therapiekonzepte eine Prognoseverbesserung für diese –insbesondere bei Nachweis zirkulierender Tumorzell-DNA postoperativ-Patientinnengruppe ermöglichen, wird sich mit dieser Phase-II-Studie nicht umfassend beantworten lassen. Dass eventuell durch die beim SABCS präsentierte hier dargestellte Teilauswertung ein Marker zur Selektionierung für die Indikationsstellung aufgrund der schlechteren Prognose gefunden wurde, ist insbesondere als Weichensteller für die Freigabe für eine kostenintensive postneoadjuvante Therapie, wenn sie sich denn als prognoseverbessernd erwiese, gegebenenfalls von nicht unerheblichem Nutzen.

 

Das erwartete Studienauswertungsende der BRE12-158-Studie ist für Dezember 2021 anvisiert. Spätestens dann wissen wir wieder etwas mehr.

 

Autor: Arne Müßig,
Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie am MVZ Havelhöhe, Berlin