Nach dem Tumorprofiling:
Offene Fragen bei der
Interpretation

Lösung: Austausch zur Erbauung aller

 

Der Onkologe

 

Ich sitze in meiner Sprechstunde und es geht mal wieder Schlag auf Schlag. Der nächste Patient hat ein Urothelkarzinom mit Metastasen in den Lymphknoten, der Leber und den Knochen. Er hat inklusive der Immuntherapie alle zugelassenen Therapieoptionen bereits erhalten und seine Krankheit ist wieder progredient.

 

In unserem letzten Gespräch haben wir über die Möglichkeit des Tumorprofilings gesprochen. Die über das „normale Maß“ hinausgehende Untersuchung des Tumorgewebes, um eventuelle weitere Therapieoptionen zu finden.

 

Gesagt – getan; die Primäroperation fand in einer Universitätsklinik statt, so dass der Patient diese Untersuchung beauftragt hat. Jetzt sitze ich vor einer Liste mit 134 untersuchten Mutationen. Ich lese und lese und versuche herauszufinden, was diese Zahlen und Buchstaben zu bedeuten haben … und scheitere an der Interpretation.

 

Ich gestehe also meinem Patienten meine Unwissenheit und verspreche, mit den Kollegen der Pathologie Kontakt aufzunehmen. In dem darauffolgenden Telefonat verstehe ich zumindest, warum ich so viele Ergebnisse bekomme. Sie fallen sozusagen bei der Untersuchung an, unabhängig davon, ob sie eine therapeutische Konsequenz haben. Bei der entscheidenden Frage nach der möglichen Therapieoption endet dann das Gespräch ziemlich abrupt. „Diese Frage müssen Sie in unserem Molekularpathologischen Tumorboard stellen.“ Da das zugehörige Tumorzentrum 250 km entfernt liegt, verzichte ich auf dieses Angebot und kümmere mich anderweitig um Antworten.

 

Der Beruf des Onkologen ist unglaublich interessant. Die Dynamik der Forschung ist exponentiell. Das Verständnis der genetischen Veränderungen und die Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten ist rasant. In keinem anderen Fachgebiet gibt es aktuell so viel Fortschritt.

 

Die meisten von uns haben Zugang zu einer Tumorkonferenz und sie ist die Grundlage für unsere Kommunikation miteinander. Das einmal wöchentliche Treffen ist jedoch nicht ausreichend, alle wichtigen Informationen auszutauschen. Daher haben wir beschlossen, einen Kollegen der Pathologie mit ins „Boot“ zu nehmen. Wir sind gespannt auf seinen Input, sein Verständnis der Tumorbiologie und die Übersetzung seiner Untersuchungen in unsere Therapie.

 

„Viele studieren nur, um etwas zu wissen, das ist Vorwitz; andere, damit sie etwas gelten, und das ist Eitelkeit; andere, um ihre Kenntnisse feilzubieten, und das ist Eigennutz, wenige nur, um andere zu erbauen oder selbst erbaut zu werden.“ (Bernhard von Clairvaux 1090 – 1153 n. Chr.)

 

Autor: Olav Heringer,
Gemeinschaftspraxis für Hämatologie und internistische Onkologie im Fachärztezentrum Medicum, Wiesbaden

 

 

Der Pathologe

 

Ich sitze an meinem Mikroskop und drehe am Objektivrevolver, versuche mit einer starken Vergrößerung Helicobacter pylori Bakterien zu finden, die ich in diesem Fall als ursächlich für die starke Entzündung der Magenschleimhautprobe vermute.

Trotz aller Mühe gelingt mir das aber nicht. Ich beschließe, den Fall nochmal ins Labor zu geben, um eine Versilberung anfertigen zu lassen. Ich diktiere einen vorläufigen Befund und verweise auf das noch ausstehende Färbeergebnis. Diesen Fall hätte ich auch vor 15 oder 20 Jahren nicht anders bearbeitet als heute. Vieles – oder eher fast alles (?) - andere hat sich in meinem Fach stark gewandelt.

 

Das Telefon läutet. Ein Kommilitone und Freund früherer Tage. Sag mal, was macht Ihr Pathologen den eigentlich heutzutage mit eurem molekularen Kram da? Ich meine, eine gewisse Vorwurfshaltung seiner Stimmlage zu entnehmen. Ich sitze vor einem Befund, fährt er fort, mit kryptischen Buchstaben- und Zahlenkombinationen – angeblich das Ergebnis einer Untersuchung von 134 Genen und ich soll jetzt eine sinnvolle Therapieentscheidung treffen, die für den Patienten nicht nur unangenehme Nebenwirkungen bereithält. Und bitte komm‘ mir jetzt nicht mit molekularem Tumorboard! Naja, erwidere, ich geh‘ mal davon aus, dass Du die molekularpathologische Panelanalyse selbst in Auftrag gegeben hast. Jedes einzelne Gen, das in diesem Panel enthalten ist, wurde mit großer Sorgfalt ausgewählt. Du als Kliniker machst Dir vielleicht gar keine Vorstellungen, welcher Aufwand hinter dieser Analyse steckt. Ich habe bei uns im Institut auch keinen eigenen Bioinformatiker und bin darauf angewiesen, dass ich von der Industrie bereitgestellte Panels nutzen kann, einschließlich des bioinformatischen Hintergrunds. Diese Panels müssen aber für sehr viele verschiedene Fragestellungen und Entitäten passen. Nun zum Befund, niemand kann erwarten, dass jeder einzelne Onkologe diese enorme Vielzahl an verschiedenen Aberrationen überblicken kann. Es ist also erforderlich, dass der Pathologe, der den Befund erstellt, das Ergebnis kommentiert und auch Behandlungsoptionen einschließlich der zugrundeliegenden Literaturstellen benennt. Idealerweise werden solche Fälle im molekularen Tumorboard behandelt. Diese stehen jedoch nicht flächendeckend zur Verfügung – das ist die aktuelle Versorgungswirklichkeit.

 

Harnblasenkarzinome, wie im vorliegenden Fall, sind molekulargenetisch sehr interessant, nur Melanome und Lungenkarzinome zeigen eine höhere Mutationslast. In diesem Zusammenhang ergeben sich relevante immunonkologische Therapieoptionen. Aufgrund der TCGA-Daten konnte bereits eine molekulare Subtypisierung entwickelt werden, die vermutlich aber erst künftig eine höhere klinische Relevanz erreichen wird. Mehrere Signaltransduktionswege werden regelmäßig in Urothelkarzinomen aktiviert und sind grundsätzlich angehbar. Hier werden wir in sehr naher Zukunft noch viel mehr Substanzen zur Verfügung haben. Für den ganz aktuellen Fall wären EGFR-, ERBB2-, CDK4- und MEK- sowie PI3K-Inhibitoren interessant, falls die Analyse eine entsprechende Aberration ergeben hätte. Diese Substanzen sind in Deutschland schon verfügbar. Gegebenenfalls ist hier halt ein entsprechender Antrag beim Kostenträger erforderlich, weil die entsprechende Substanz möglicherweise für Urothelkarzinome nicht oder noch nicht zugelassen ist.

 

Am besten Du schickst mir den Befund zu und ich sehe mir das im Detail an, rate ich meinem Freund. Mehr als noch in der Vergangenheit und bislang müssen wir künftig noch mehr kommunizieren. Nur so wird Präzisionsmedizin wirklich präzise. Ich finde, wir erleben gerade eine Revolution in der Medizin – ähnlich wie in Virchows und Kochs Zeiten. Fraglos sind damit für uns alle zusätzliche Anstrengungen verbunden und ein nicht unerheblicher Fortbildungsaufwand. Trotzdem bin ich froh, diese Entwicklung aktiv miterleben zu können.

 

Ich bin da bei Jane Fonda; „no pain – no gain!“

 

Autor: Professor Dr. Bruno Märkl,
Direktor des Instituts für Pathologie und Molekulare Diagnostik, Universitätsklinikum Augsburg