Espresso

Manchmal sind unsere Patienten deutlich weiter als wir…

 

Nach dem Ausscheiden einer Kollegin übernahm ich eine 68-jährige Patientin mit einem seit ca. 1,5 Jahren bekannten primär metastasierten Kolonkarzinom. Nach zwei parenteralen Therapien war sie nun leider erneut progredient. Die palliative Behandlung hatte sie bisher gut vertragen, auch eine Covid-19-Infektion war Anfang 2022 folgenlos an ihr vorübergegangen. Mit dem Ziel eines möglichst langen Erhalts ihrer weiterhin sehr hohen Lebensqualität plante ich nun eine orale Chemotherapie.

 

Die Patientin, die in Begleitung Ihrer Tochter zu unserem ersten Gespräch erschien, willigte in die Therapie ein. Es war ihr jedoch wichtig, mich über folgendes in Kenntnis zu setzen: Sie freue sich über jeden Tag ihres Lebens und genieße dieses auch sehr. Ihr sei vollständig klar, dass sie bald sterben müsse – wolle dabei aber nicht leiden. Und – vor allem – wolle sie möglichst viel Last von den Schultern ihrer Angehörigen nehmen: So habe sie für sich schon den ambulanten Palliativ-Pflegedienst organisiert, einen Sarg ausgesucht, die Modalitäten der Beerdigung geregelt, die Lieder und das Programm für die Trauerfeier festgelegt, die Grabstätte bestimmt und bezahlt… Dies alles erfülle sie mit einer großen Leichtigkeit, weil sie nun wisse, dass alles nach ihrem Willen geschehe und ihre Angehörigen sich damit nicht belasten müssten. Sie könne somit die ihr noch verbliebene Zeit gut und mit Freude nutzen…

 

Offensichtlich war sie nicht nur ihren Behandlern, sondern auch ihren Angehörigen um einiges voraus – auch in Bezug auf eine offene und sehr konkrete Kommunikation…

 

Autor: Dr. med. Henning Pelz, Onkologie Offenburg – Ambulantes Therapiezentrum für Hämatologie & Onkologie