QUERGEDACHT

Der Mitarbeiterschwund von Krankenpflegepersonal und MFA: Die Sicht des Arztes

 

Als ich 1986 in der Schule das Abitur gemacht habe, gaben mindestens zwanzig Mitschülerinnen an, eine Ausbildung zur (damals) Krankenschwester absolvieren zu wollen. Die Voraussetzung war Abitur und dieser Schulabschluss noch lange keine Sicherheit, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Der Beruf wurde jedoch als wertvoll, sozial angesehen und interessant empfunden.

 

Was ist passiert? Warum wollen heute so viele Krankenpflegekräfte und medizinische Fachangestellte aus ihrem Beruf? Wie geht es uns Ärzten mit der Arbeitssituation?

 

Die Kritikpunkte unserer Mitarbeiter(-innen) sind klar und gut verständlich. Der Arbeitsdruck in der Medizin ist enorm gewachsen. Die Menge an Patienten, die pro Zeiteinheit eine Praxis, eine Notaufnahme, eine Station im Krankenhaus passiert, ist in den letzten Jahren erheblich angestiegen. Es geht uns in den Sprechstunden nicht anders. Immer mehr Menschen haben den Bedarf nach onkologischer Versorgung und die demographische Entwicklung lässt erwarten, dass er in den kommenden Jahren noch weiter steigt.

 

Wir versuchen dieser Entwicklung durch mehr Personal entgegenzuwirken. Zum einen haben wir deutlich mehr Mitarbeiter(-innen) in Teilzeit. Das reduziert die Belastung auf den Einzelnen und vergrößert die Möglichkeit der gegenseitigen Unterstützung. Gerade in der Pandemiezeit, in der unsere MFA´s mit kleinen Kindern immer wieder ausgefallen sind, weil die Kinderbetreuung nicht gewährleistet werden konnte, sind Kollegen(-innen) eingesprungen. Die selbstständige Gestaltung des Dienstplanes durch die Mitarbeiter(-innen) hat zusätzliche Entspannung gebracht, weil das Gefühl der Fremdbestimmung kleiner war.

 

Hinzu kommt, dass wir uns entschlossen haben, mehr Auszubildende einzustellen. Der „frische Wind“ junger Menschen tut der Praxisstruktur gut und die langjährigen Mitarbeiter(-innen) entwickeln geradezu mütterliche Gefühle für die neu Angekommenen. Natürlich bedeutet die Ausbildung junger Menschen einen zusätzlichen Zeitaufwand, der jedoch gegenüber dem Gewinn für die Praxis gut kompensiert ist. Das Ausbildungsgehalt ist tariflich geregelt, so dass hier keine Unzufriedenheit besteht.

 

Was die Vergütung der Praxismitarbeiterinnen betrifft, haben wir beschlossen, unsere gut ausgebildeten Fachkräfte so zu vergüten, wie es die Krankenhausträger der Stadt tun. Der Vorteil der Praxis ist die geregelte Arbeitszeit und die garantierte Freizeit am Wochenende. Nachtdienste fallen ebenfalls nicht an. In den Bewerbungsgesprächen waren dies bisher immer gute Argumente für die Praxis.

Es kann bei allen Maßnahmen nicht übersehen werden, dass die Arbeitsbelastung hoch ist und auch hoch bleiben wird. Hinzu kommt, dass die Vergütung auch im ambulanten Sektor eher rückläufig ist, so dass keine unendlichen Ressourcen für Gehälter bestehen. Wie können wir dem begegnen?

 

Teamsitzungen waren schon immer ein wesentlicher Bestandteil der Kommunikation untereinander. Diese haben wir vor der Sprechstunde oder an einem Mittwoch oder Freitag nach der Sprechstunde platziert. Damit waren sie entweder von der beginnenden Praxiszeit oder dem Wunsch nach Hause zu gehen, zeitlich limitiert. Vor dem Jahreswechsel musste unsere EDV neu aufgespielt werden. Der zeitliche Rahmen waren vier Stunden und es konnte nicht am Wochenende sein. Es blieb also nur die Schließung der Praxis an diesem Tag. Wir haben das freie Zeitfenster mit einer Teamsitzung ohne Zeitlimit und einem anschließenden gemeinsamen Mittagessen (pandemiekonform) in unseren Räumen gefüllt. Dabei wurden viele Anekdoten erzählt, die wir mit Patienten erlebt haben. Natürlich auch Schicksale, die alle gleichermaßen betroffen gemacht haben. Bei der Verabschiedung am Nachmittag war die Rückmeldung der Mitarbeiter(-innen), wie wertvoll diese Zeit empfunden wurde. Sie haben sich in Ihrer Arbeit und Motivation gesehen und geschätzt gefühlt. Wir werden nach dieser Erfahrung zum Ende jeden Quartals einen solchen Tag anbieten.

 

Die Belastungen in unserer Arbeit betreffen Ärzte wie Mitarbeiter(-innen) gleichermaßen. Die Notwendigkeiten und Bedürfnisse der Praxis und der Patienten treiben alle gleichermaßen durch den Tag. Nur durch gemeinsame Wertschätzung und Achtsamkeit werden wir es schaffen, langfristig zufrieden zusammen zu arbeiten. Ein Einkommen, mit dem auch Allein-Erziehung möglich ist, gehört dabei ebenso zu den Grundvoraussetzungen, um den sozialen Stress zu reduzieren.

 

Autor: Olav Heringer, Gemeinschaftspraxis für Hämatologie und internistische Onkologie im Fachärztezentrum Medicum, Wiesbaden