Fortgeschrittenes
hormonsensitives
Prostatakarzinom und
AST
 

Androgensuppressionstherapie bei HSPC – sofort loslegen oder verzögert einsetzen?

 

Was ist die bessere Strategie für Patienten mit einem fortgeschrittenen hormonsensitiven Prostatakarzinom (HSPC): Sollte mit der Androgensuppressionstherapie (AST) bereits begonnen werden, wenn die Männer noch asymptomatisch sind, oder profitieren Patienten eher, wenn die Behandlung verzögert eingesetzt wird? Dieser Frage ging eine Arbeitsgruppe um Frank Kunath (Erlangen, Deutschland) in einem Cochrane Review nach.

 

Summary

 

Eine tragende Säule in der Therapie des fortgeschrittenen hormonsensitiven Prostatakarzinoms ist die Androgensuppressionstherapie (AST), bestehend entweder aus einer chirurgischen oder medikamentösen Kastration. Unklar ist allerdings, zu welchem Zeitpunkt idealerweise mit der Therapie begonnen werden sollte. Aktuell kann in der klinischen Praxis eine AST im Krankheitsverlauf des fortgeschrittenen hormonsensitiven Prostatakarzinoms sowohl frühzeitig als auch verzögert eingeleitet werden: Ist der Patient bei Therapiebeginn noch asymptomatisch, spricht man von einem frühzeitigen Beginn. Wird eine AST erst dann eingeleitet, wenn Röntgen- oder Laborbefunde gezeigt haben, dass sich der Krebs bereits über die Prostataregion hinaus ausgebreitet hat oder der Patient über Symptome berichtet, wird von einem aufgeschobenen Therapiestart gesprochen.

 

Eine Arbeitsgruppe um Frank Kunath (Erlangen, Deutschland) verglich jetzt im Rahmen eines Cochrane-Review den frühen Beginn einer Standard-AST mit dem aufgeschobenen Start dieser Therapieform bei Patienten mit einem fortgeschrittenen hormonsensitiven Prostatakarzinom. Die Patienten hatten entweder eine chirurgische oder medikamentöse Kastration erhalten.

 

Es zeigte sich, dass eine frühzeitige AST das Risiko verringern kann, generell zu versterben (death of any cause), als auch am Prostatakarzinom zu sterben sowie skelettale Ereignisse zu entwickeln. Das Risiko für schwerwiegende unerwünschte Ereignisse scheint bei einem frühen Therapiebeginn ähnlich hoch wie bei einer aufgeschobenen Behandlung zu sein. Außerdem werden bei Patienten mit einer frühzeitigen Therapie eher eine Fatigue und eine Herzinsuffizienz beobachtet, während die allgemeine Lebensqualität durch eine frühzeitige Behandlung wahrscheinlich nicht oder lediglich geringfügig beeinträchtigt wird.

 

Die Arbeitsgrupp stuft die Qualität der Evidenz aufgrund von Studienlimitationen herab.

 

Details

 

Hintergrund

 

Die Standard-Androgensuppressionstherapie (AST) mit chirurgischer oder medizinischer Kastration gilt als ein Grundpfeiler der Behandlung von fortgeschrittenem hormonsensitivem Prostatakrebs. Unklar ist allerdings, wann der richtige Zeitpunkt für den Beginn einer AST ist: Sollte mit einer AST eher früher, das heißt, wenn das fortgeschrittene hormonsensitive Prostatakarzinom noch asymptomatisch ist, begonnen werden. Oder ist es besser, eine AST erst dann einzuleiten, wenn Röntgen- oder Laborbefunde zeigen, dass sich der Prostatakrebs über die Prostatakapsel hinaus ausgebreitet hat oder der Patient über Symptome berichtet. Dieser Frage ging eine Arbeitsgruppe um Frank Kunath aus Erlangen (Deutschland) nach.

 

Recherche

 

Für den vorliegenden Cochrane-Review durchsuchte die Arbeitsgruppe mehrere Datenbanken. Hierzu gehörten die CENTRAL (Clinical Trials) – eine Datenbank innerhalb der Cochrane Library, welche die umfassendste Datenbank für kontrollierte klinische Studien darstellt. Weitere Datenbanken, die das Team für die Recherche heranzog, sind MEDLINE, Embase, Web of Science. Die letzte Datenbankrecherche fand im November 2018 statt. Zusätzlich durchsucht wurden zwei Register klinischer Studien ohne Beschränkungen der Publikations-Sprache oder des -Status und die Bibliografien der eingeschlossenen Studien sowie Tagungsbände. Diese Recherche wurde zuletzt im Januar 2019 durchgeführt.

In den Cochrane Review aufgenommen wurden alle randomisierten klinischen Studien (RCTs), die eine frühzeitige AST direkt mit einer aufgeschobenen AST verglichen haben. Die Patienten der eingeschlossenen Studien waren alle an einem fortgeschrittenen Prostatakarzinom erkrankt und hatten entweder eine chirurgische oder medikamentöse Kastration erhalten. Nicht berücksichtigt wurden Studien mit anderen Designs.

 

Zwei Review-Autoren klassifizierten unabhängig voneinander die Studien und abstrahierten die Daten. Die primären Endpunkte waren die Zeit bis zum Tod jeder Ursache (death of any cause) und schwerwiegende unterwünschte Ereignisse (UEs). Als sekundäre Endpunkte wurden die Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung und die Zeit bis zum prostatakrebsspezifischen Tod sowie die Parameter unerwünschte Ereignisse und Lebensqualität definiert.

 

Des Weiteren wurden Subgruppenanalysen der Patienten mit einer fortgeschrittenen, jedoch nicht metastasierenden Erkrankung (T2-4/N+ M0), einer metastasierten Erkrankung (M1) und einem PSA (Prostata-spezifisches Antigen)-Rezidiv durchgeführt.

 

Im Rahmen der Recherche identifizierte die Arbeitsgruppe 10 zur Fragestellung passende Studien – davon sieben neue Studien, die seit dem Original Review in 2002 veröffentlicht wurden.

 

Ergebnisse – primäre Endpunkte

 

Die Analysen hinsichtlich der primären Endpunkte ergaben, dass eine frühzeitige AST das Risiko eines Todes jeder Ursache im Laufe der Zeit zu verringern scheint [Hazard Ratio (HR) 0,82; 95%-KI 0,75-0,90; moderate Qualität der Evidenz; 4.767 Teilnehmer]. Dies entspricht 57 weniger Todesfälle (95%-KI 80 weniger - 31 weniger) pro 1.000 Männer nach 5 Jahren für die Gruppe der Patienten mit mittleren Risiko und 23 weniger Todesfälle (95%-KI 32 weniger - 13 weniger) pro 1.000 Patienten nach 5 Jahren für die Gruppe mit niedrigem Risiko. Die Arbeitsgruppe stufte die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz aufgrund von Studienlimitationen herab.

 

Es zeigte sich, dass eine frühe versus einer verzögerten AST das Auftreten von schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen kaum oder gar nicht zu beeinflussen scheint [relative Risiko (RR) 1,05; 95%-KI 0,95-1,16; geringe Qualität der Evidenz; 10.575 Teilnehmer, dies entspricht bis zu 6 mehr schwerwiegenderen unerwünschten Ereignissen (6 weniger - zu 18 mehr) pro 1.000 Studienpatienten. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz wurde aufgrund von Studienlimitationen und selektiver Berichterstattung herabgestuft.

 

Ergebnisse – sekundäre Endpunkte

 

Bezüglich der sekundären Endpunkte ergab sich folgendes Bild: Eine frühzeitige AST scheint das prostatakrebsbedingte Risiko zu sterben im Laufe der Zeit zur reduzieren (HR 0,69, 95%-KI 0,57-0,84; moderate Qualität der Evidenz). Dies entspricht 62 weniger prostatakrebsbedingten Todesfällen pro 1.000 Männer (95%-KI 87 weniger - 31 weniger) nach 5 Jahren für die Gruppe mit einem mittleren Risiko und 24 weniger prostatakrebsbedingten Todesfällen (95%-KI 34 weniger - 12 weniger) pro 1.000 Männer nach 5 Jahren in der Gruppe mit geringem Risiko. Bedingt durch Studienlimitationen wurde die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz herabgestuft.

 

Patienten mit frühzeitiger AST scheinen ein um 63% geringeres Risiko zu haben, skelettale Ereignisse zu entwickeln (RR 0,37, 95%-KI 0,17-0,80; niedrige Qualität der Evidenz), was weniger als 23 skelettalen Ereignissen pro 1.000 Studienteilnehmer entspricht (95%-KI 31 weniger - 7 weniger). Die Arbeitsgruppe stufte die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz aufgrund von Studienbeschränkungen und Ungenauigkeiten herab.

 

Wird die AST zu einem frühen Zeitpunkt begonnen, scheint dies mit einem vermehrten Auftreten von Fatigue einherzugehen (RR 1,41; 95%-KI 1,23-1,62; niedrige Qualität der Evidenz), was 31 mehr Männern mit diesem Beschwerdebild pro 1.000 Studienpatienten entspricht (95%-KI 18 mehr - 48 mehr). Auch hier wurde die Qualität der Evidenz infolge von Studienbeschränkungen und Ungenauigkeiten herabgestuft. Ferner gibt es Hinweise, dass eine frühzeitige AST das relative Risiko für eine Herzinsuffizienz fast verdoppelt (RR 1,90, 95%-KI 1,09-3,33; niedrige Qualität der Evidenz). Das Ergebnis entspricht bis zu 27 weiteren Ereignissen pro 1.000 Männer (95%-KI 3 mehr - 69 mehr). Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz wurde herabgestuft – als Gründe nannte Studienautor Frank Kunath Limitierungen der Studie und Ungenauigkeit.

 

Die allgemeine Lebensqualität scheint sich nach zwei Jahren in beiden Gruppen ähnlich stark verbessert zu haben, erfasst mit dem European Organization for Research and Treatment of Cancer Core Quality of Life Questionnaire (EORTC QLQ-C30) in der Version 3.0 (mediane Differenz -1,56; 95%-KI 4,50-1,38; mittlere Qualität der Evidenz). Die Arbeitsgruppe setzte die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz wegen Studienbeschränkungen herab.

 

Bewertung der Ergebnisse

 

Bei Patienten mit einem fortgeschrittenen hormonsensitiven Prostatakarzinom scheint eine frühzeitige AST wahrscheinlich sowohl die Zeit bis zum Tod jeder Ursache als auch die Zeit bis zum krankheitsspezifischen Tod, verglichen mit einer aufgeschobenen AST-Therapie. Zudem scheint eine frühzeitige AST das Risiko für skelettale Ereignisse zu reduzieren. Die Häufigkeit an schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen scheint in beiden Gruppen vergleichbar zu sein. Dasselbe kann auch für die Lebensqualität angenommen werden. Allerdings scheint eine frühzeitige AST sowohl das Risiko für Fatigue als auch für Herzinsuffizienz zu erhöhen. Diese Schlussfolgerungen zogen die Cochrane-Autoren aus ihrem Review.

 

Ferner merkten die Autoren an, dass die Ergebnisse, die zu möglichen behandlungsbedingten unerwünschten Ereignissen gefunden wurden, lediglich eine niedrige Qualität der Evidenz aufwiesen. Um besser zu verstehen, inwieweit das Auftreten von unerwünschten Ereignissen mit dem Zeitpunkt des Therapiebeginns zusammenhängt, besteht zusätzlicher Bedarf an qualitativ hochwertigen Studien.

REFERENZEN