DER UROBLOG
VON PROF. DR.
FRANK KÖNIG

Die Früherkennung des Prostatakarzinoms -

Das ewige Dilemma

 

Vor ca. 6 Wochen kommt Herr M. (58 J., Anwalt, verheiratet, 2 Kinder) mit dem Wunsch nach Früherkennung in meine Sprechstunde. Er ist beschwerdefrei und war bisher noch nie beim Urologen. Der aktuelle Besuch geschah eher auf Drängen seiner Frau. Zum Thema PSA hatte er sich in der Vergangenheit belesen. Nach der Lektüre verschiedener Artikel erschienen ihm die Nachteile bisher größer zu sein als der mögliche Nutzen einer solchen Untersuchung. In der nun durchgeführten DRU und im TRUS ergab sich der dringende V.a. auf ein lokal fortgeschrittenes Prostatakarzinom. Der PSA-Wert war mit 93 ng/ml deutlich erhöht. Die durchgeführte transrektale Prostatabiopsie ergab in 14 von 14 Biopsien ein Gl. 4+5 Prostataadenokarzinom. In der Bildgebung zeigten sich bereits vereinzelte ossäre Metastasen in der LWS.

 

Auch wenn dieser Fall glücklicherweise eher selten vorkommt, so lässt sich an Daten insbesondere aus Nordamerika inzwischen eindeutig belegen, dass ein Verzicht auf den PSA-Test im Rahmen der Früherkennung zu einem Stage-Shift mit mehr Diagnosen von fortgeschrittenen bzw. metastasierten Karzinomen führt. Für den betroffenen Patienten ist es in jedem Fall ein drastisches Ereignis mit weitreichenden gesundheitlichen und persönlichen Folgen. Als behandelnder Arzt kommt man zwangsläufig ins Grübeln. Hätte der Fall nicht im kurativ behandelbaren Stadium erkannt werden können? Die Diskussionen zu dem Thema sind ausgiebig geführt worden mit nachvollziehbaren Argumenten sowohl auf Seiten der Gegner als auch der Befürworter eines generellen PSA-Screenings. Als Kompromiss gilt aktuell ein Risiko-adaptiertes Vorgehen. Das Thema bleibt jedoch schwierig und in der öffentlichen Diskussion hat der PSA-Test weiter eher einen schlechten Ruf. Nicht zuletzt deshalb, da es sich trotz aller Anstrengungen unserer Berufsverbände weiterhin um eine IGEL-Leistung handelt. Was spricht eigentlich im Jahr 2022 gegen eine generelle Empfehlung zur regelmäßigen PSA-Kontrolle für den Mann ab 40? Wir haben doch dazu gelernt und wissen sehr wohl, wie eine Überdiagnostik zu verringern ist. Eine jährliche Kontrolle ist oft gar nicht nötig. Bei unauffälligem Verlauf kann man bei jüngeren Männern mitunter jahrelang bzw. ab dem 75. Lebensjahr ganz auf die PSA-Bestimmung verzichten. Und haben wir nicht inzwischen mit dem Einsatz von robusten Risikokalkulatoren und dem multiparametrischen MRT gute Möglichkeiten eine unnötige Prostatabiopsie zu vermeiden? Es lässt sich anhand der aktuellen Daten sehr gut belegen, dass mindestens 50% der bisherigen Prostatabiopsien durch diese vorgeschobenen „Filter“ sicher verhindert werden können.

 

In oben geschildertem Fall mit eindeutigem Karzinomverdacht ist die Biopsie sicherlich der nächste Schritt. Ist lediglich das PSA leicht erhöht, sollte nach der S3-Leitlinie vor der Gewebeprobe ein mpMRT der Prostata erfolgen. Für einen gesetzlich Versicherten bieten die radiologischen Praxen diese Untersuchung jedoch nicht an, da es derzeit noch keine Möglichkeit zur kostendeckenden Abrechnung gibt. In Berlin zahlt der Patient die Kosten zwischen 400 und 600 Euro entweder selbst, oder er wartet mitunter Monate auf einen Termin in der Universitätsklinik. Bei dem eingangs beschriebenen Patienten wurde zur Sicherung der Diagnose eine „klassische“ transrektale Prostatabiopsie durchgeführt, wie wir diese seit 20 Jahren guten Gewissens in der täglichen Praxis einsetzen. Aktuell ist diese Form der Gewebeentnahme jedoch in die Kritik geraten und wird nicht mehr empfohlen. Die propagierte Umstellung auf die perineale Biopsie hat mehrere Gründe. Seit Erscheinen des Rote-Hand-Briefes zum Einsatz der Gyrasehemmer haben wir das Problem einer suffizienten Antibiotikaprophylaxe beim transrektalen Vorgehen. Anale Abstriche und der Einsatz von alternativen Antibiotikaklassen schaffen hier keine ausreichende Sicherheit. Dazu kommt, dass durch den empfohlenen Einsatz des mpMRT oft eine gezielte Biopsie kleiner Läsionen notwendig wird, welche über den transrektalen Zugang kaum zu erreichen sind. Aus hygienischen Gründen erfolgte dann noch die Maßgabe Wegwerfpistolen zur Prostatabiopsie zu verwenden. Da der Aufwand zu hoch und die Vergütung nicht adäquat bzw. Bestandteil des Praxisbudgets ist, delegieren viele Kolleginnen und Kollegen ihre Patienten zu weiterer Diagnostik inzwischen an die Kliniken. Auch wenn das aus o.g. Gründen verständlich erscheint, so ist es berufspolitisch eine Katastrophe, da hier eine ureigene ambulante Prozedur durch die Niedergelassenen aufgegeben wird.

 

Wenn wir die Prostatabiopsie weiter in der Praxis durchführen wollen, sind zwar Veränderungen notwendig, aber es ist machbar und kann in einem überschaubaren finanziellen Rahmen realisiert werden. Die Anschaffung eines kompletten Systems mit entsprechender Software zur Durchführung einer sog. „echten“ Fusionsbiopsie erfordert heute noch die Investition einer höheren Summe, was sich für die meisten Praxen nicht rechnen dürfte. Kollegen in Köln mieten aktuell ein modernes Gerät und geben die Kosten von ca. 400 Euro als Selbstkostenbeitrag an den Patienten weiter. Aber ist diese Komplettlösung wirklich notwendig? Es ist derzeit noch offen, ob die kognitive Biopsie in den meisten Fällen nicht ausreichend ist und lediglich „Spezialfälle“ an die Klinik zur Fusions-Biopsie überwiesen werden müssen. Letzteres ist sicherlich immer dann notwendig, wenn bei PIRADS 4 oder 5 Befunden durch die kognitive Biopsie kein Karzinom nachgewiesen werden kann. Die Umstellung auf den perinealen Zugang zur Durchführung der Prostatabiopsie ist sicherlich nicht zu umgehen, auch wenn dies mit einer längeren Lernkurve verbunden ist. Aber die Vorteile liegen auf der Hand. Kleine suspekte Läsionen sind insbesondere im anterioren peripheren Bereich der Prostata besser erreichbar. Neuere Daten weisen auch darauf hin, dass bei den meisten Patienten wahrscheinlich auf eine Antibiose gänzlich verzichtet werden kann. Spezielle Techniken der Lokalanästhesie erlauben eine schmerzfreie Durchführung der Prozedur. Da die perineale Gewebeentnahme in Steinschnittlage erfolgt, liegt der Patient auf einem Zystoskopiestuhl. Welche spezielle Technik jetzt im Einzelnen verwendet wird, liegt sicherlich an den finanziellen Möglichkeiten und vorhandener Ultraschalltechnik. Für unsere Praxis haben wir ein Ultraschallgerät von BK Medical (bk3000) zur perinealen Biopsie erweitern lassen. Wir verwenden einen an den Zystoskopiestuhl montierten freischwenkbaren Halte-Arm für die transrektale Ultraschallsonde. Über ein an die Sonde montiertes Template (Grid) zur Ultraschallgesteuerten-Nadelführung erfolgt dann die gezielte Punktion der Prostata. Die Gesamt-Kosten für diese Anpassung sind deutlich geringer als für ein komplettes Fusionssystem und die Überführung in die tägliche Routine verlief relativ reibungslos.

 

Zusammenfassend lässt sich feststellen, auch wenn die Früherkennung des Prostatakarzinoms eine tägliche Herausforderung in der Praxis darstellt, sollten wir uns dieser stellen und hier nicht aus Bequemlichkeit bzw. finanziellen Beweggründen unsere eigene Kompetenz beschneiden.