PATIENT & PRAXIS

Herausforderung Klimawandel: aktuelle News und Tipps für Ärzte

 

Die Gesundheit muss geschützt, unser System klimaneutral werden. Niedergelassene Praxen können viel dazu beitragen.

 

Enge Beziehung zwischen Klima und Gesundheit

 

Ein Hitzerekord folgt auf den nächsten: Gerade erst brachte uns der Mai mit hochsommerlichen Temperaturen zum Schwitzen. Experten der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) rechnen mit einem neuen Hitze-Rekordjahr bis 2026 und einem weiteren Anstieg der Durchschnittstemperatur.

 

Die Folgen des Klimawandels sind längst in den ärztlichen Praxen spürbar. Auch die WHO hat den Weltgesundheitstag 2022 unter das Motto „Unser Planet, unsere Gesundheit“ gestellt, um auf die enge Beziehung zwischen Klima und Gesundheit hinzuweisen. Die Gesundheitsorganisation schätzt, dass jedes Jahr weltweit mehr als 13 Millionen Todesfälle auf vermeidbare Umweltursachen zurückzuführen sind.

 

In einer Patienteninformation zeigt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) auf, welche Folgen Hitze für unsere Gesundheit haben kann. Die lange Liste umfasst Beschwerden wie Haut-Ausschläge, Ödeme, Kopfschmerzen, Schwindel und niedrigen Blutdruck, warnt aber auch vor ernsten Komplikationen wie Nierenerkrankungen, Thrombosen und Herzinfarkt.

 

Ärzteschaft sieht sich in der Verantwortung

 

Die Folgen des Klimawandels bekommt unser Gesundheitssystem also deutlich zu spüren. Die Krux: Das System ist gleichzeig Teil des Problems. Deshalb appellierte die Ärztekammer Berlin in einer Pressemitteilung zum Weltgesundheitstag an alle Mitarbeitenden des Gesundheitswesens und an die Politik, sich gemeinsam für ein klimaneutrales Gesundheitswesen einzusetzen.

 

Laut einer aktuellen Untersuchung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ist die Mehrheit der niedergelassenen Mediziner dazu bereit. Eine deutschlandweite Online-Umfrage im Rahmen der Studie „Klimaschutz in Praxen“ unter 1.683 niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten ergab: 83 Prozent erachteten den Klimawandel als dringendes Problem, das sofortiges und umfassendes Handeln erfordere, 88 Prozent sahen sich verantwortlich für Klimaschutz in ihrer Praxis.

 

Maßnahmen zum Klimaschutz: Jede Praxis zählt

 

Die Studie zeigt auch, dass mehr als die Hälfte der Befragten zur Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen bereit ist, dabei jedoch noch etliche Hürden sieht – darunter befürchtete Mehrkosten und Bürokratie. Zudem forderte der Großteil der Teilnehmenden die Entwicklung von klimafreundlichen Strategien durch Politik und Institutionen für das Gesundheitswesens einschließlich der Medizinindustrie. Doch bis Strategien entwickelt sind und Wirkung zeigen, kann jede Praxis durch die Umsetzung einfacher Maßnahmen selbst etwas für den Klimaschutz tun.

 

Wenig Aufwand, viel Wirkung

 

Wer sich mit dem Thema Klimaschutz in Arztpraxen beschäftigt, findet im Netz eine Vielzahl an praktischen und leicht umsetzbaren Tipps – unter anderem bei der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG), die hierfür eine eigene Checkliste entwickelt hat, sowie beim Virchowbund. Aus Platzgründen stellen wir Ihnen hier eine Auswahl vor.

 

  • Bürobedarf: Eine papierlose Übermittlung von Labor- und Arztbriefen spart Rohstoffe; Bürobedarf aus fairer, nachhaltiger Herstellung hilft, Umwelt und Klima zu schützen.

  • Energie: Strom, Gas, Kühlung und Wärme machen geschätzt 40 Prozent der CO2-Emissionen im Gesundheitswesen aus. Energiesparende Lampen und Geräte, programmierbare Thermostate, Verhaltensänderungen und eine um 1 Grad kühlere Raumtemperatur im Winter können davon 20-30 Prozent einsparen.

  • Abfall: Einweg-Materialen sind im Trend und oft auch günstiger als die Wiederaufbereitung. Sie verursachen aber Unmengen an Abfall. Abfallvermeidung heißt auch, auf minimale bzw. umweltfreundliche Verpackung (z. B. Stroh statt Styropor) zu achten und möglichst zu recycelten bzw. recycelbaren und langlebigen Produkten zu greifen. Auch die Bestellung von Produkten in Großkanistern (z.B. Sonographie-Gel, Seife, Putzmittel) kann helfen, Abfall zu sparen.

  • Arzneimittel: Medikamente sind mit Abstand für den größten Teil der Treibhausgasemissionen von Arztpraxen verantwortlich. Der Umstieg auf CO2-ärmere Alternativen wie beispielsweise auf das Anästhetikum Sevofluran im OP-Bereich kann bereits helfen, Emissionen zu senken. Für Patient und Umwelt kann es sich auch lohnen, den Medikamentenplan regelmäßig „auszumisten“. So werden auf längere Sicht Ressourcen in der Medikamentenproduktion gespart.

  • Fahrrad statt Praxis-PKW: eBikes und Pedelecs sind bei Entfernungen bis zu 10 km das schnellste Fortbewegungsmittel im Stadtverkehr. Für Arbeitgeber gibt es außerdem Steuervorteile, wenn sie Fahrräder oder den ÖPNV bezuschussen.

  • Telemedizin: Viele Patienten fahren mit dem Auto bzw. Taxi in die Praxis. Eine Alternative: Telemedizin. Schon bei kurzen Distanzen ist ihre Klimabilanz geschätzt um den Faktor 40 bis 70 besser als die einer Autofahrt in die Praxis. Bei Wiederholungsrezepten lassen sich auch durch besseres Terminmanagement Patientenwege sparen.

  • Klimasprechstunde: In einer speziellen Klimasprechstunde können Patienten einerseits für die medizinischen Auswirkungen des Klimawandels auf ihre eigene Gesundheit sensibilisiert werden. Andererseits können Vorsichtsmaßnahmen, z. B. bei Hitzewellen, besprochen werden.

  • Praxisfinanzen: Noch immer investieren viele Banken und ärztliche Versorgungswerke in klimaschädliche Unternehmen und Projekte. Wer zu „grünen“ Banken wechselt, entzieht solchen Investitionen den Boden.

  • Klimabeauftragte: Klimaschutz in der Praxis ist Teamsache. Arbeitgeber können das Engagement zum Klimaschutz mit einer Prämie stärken, wenn bestimmte Einsparungen erreicht werden – oder für besonders gute Ideen für weitere Maßnahmen. Sinnvoll kann es auch sein, einen Klimabeauftragten in der Praxis zu benennen, der die Verantwortung für die Umsetzung der Maßnahmen übernimmt.

 

Klimaschutz verursacht gerade am Anfang häufig Aufwand: vor allem Arbeitszeit und Anschaffungskosten. Die gute Nachricht: Vieles davon kann sich kurz- bis mittelfristig refinanzieren – beispielsweise durch niedrigere Kosten beim Strom- und Wasserverbrauch.

 

Projekt „Transformative Arztpraxen“

 

Bund, Länder, Kommunen und private Stiftungen bieten zudem Förderungen für Klimaprojekte an, an denen sich Arztpraxen beteiligen können. So fördert das Umweltbundeamt aktuell das Projekt „Transformative Arztpraxen“ der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG). Mit dem Projekt sollen mindestens 100 Praxen erreicht werden, die eine Klimasprechstunde anbieten, Energie und Ressourcen im Praxisalltag einsparen, und/oder sich politisch für Klimaschutz engagieren.

 

Fortbildungen zu Klimaschutzmaßnahmen

 

Über ein initiales Netzwerk von Leuchtturmpraxen werden Materialien und Ansätze gesammelt, ergänzt und interessierten Praxisteams zur Verfügung gestellt. Mit Hilfe von Netzwerken der Berufsverbände und Fachgesellschaften sowie durch das Netzwerk der KLUG-Initiative Health For Future werden neue Praxen angesprochen. Diese erhalten Angebote für Fortbildungen zu Klimaschutzmaßnahmen in der Praxisführung, zu Klimawandelfolgen und -anpassung, zur Lebensstilberatung im Rahmen der Klimasprechstunde und zu gesundheitspolitischen Beteiligungsmöglichkeiten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Praxen erfahren darüber hinaus auch praktische Unterstützung durch andere Praxen im Netzwerk, Fachgesellschaften und Berufsverbände. Das Projekt „Transformative Arztpraxen“ läuft seit dem 1. März und endet am 31.12.2022. Weitere Infos dazu gibt es bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit sowie beim Umweltbundesamt.