Hormonpflaster
beim Prostata-
karzinom?

Estradiol-Pflaster anstelle von LHRH-Agonisten?

 

Patienten mit Prostatakarzinom (PCa), die eine Androgendeprivationstherapie (ADT) erhalten, haben ein erhöhtes Risiko für eine erhebliche Langzeittoxizität. Exogen appliziertes Estrogen (Estradiol-Pflaster) senkt den Testosteronspiegel unterhalb des Kastrationsniveaus. Zudem umgeht es den hepatischen First-Pass-Effekt, wodurch die Estrogendepletions-Effekte vermieden werden, die bei der Therapie mit luteinisierendes Hormon freisetzenden Hormon-Agonisten (LHRHa) zu beobachten sind. Aktuell untersucht das britische Phase-2/3-Studienprogramm Prostata-Adenokarzinom-Transkutan-Hormon-Programm (PATCH; Ruth Langley et al.) im Langzeit-Follow-up die kardiovaskuläre Toxizität von transdermal appliziertem Estradiol (tE2) versus LHRHa – bei 1.694 Patienten aus 52 Zentren mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem PCa.

 

Summary

 

Die Langzeit-Follow-up-Daten des adaptiven, fortlaufenden, randomisierten, multizentrischen Phase-2/3-Studienprogramms PATCH (Ruth E Langley et al., London, UK) schlossen 1.694 PCa-Patienten ein. Die Patienten wurden (1:2 ab August 2007, dann 1:1 ab Februar 2011-2019) auf LHRHa (n=790) oder tE2-Pflaster (n=904) randomisiert. Bei 40 % der Patienten lagen Metastasen vor. Primärer Endpunkt war die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität. Die Kastrationsraten bei den mit LHRHa behandelten Patienten lagen nach 1 Monat bei 65 % und nach 3 Monaten bei 93 %; in der tE2-Gruppe betrugen sie entsprechend 83 % und 93 %.

 

Insgesamt traten 167 kardiovaskuläre Ereignisse bei 153 Patienten auf: 157/145 mit einem bestätigten kardiovaskulären Ereignis oder plötzlichem oder unerwartetem Tod, bei 10 gab es keinen Post-Mortem-Bericht. Insgesamt 26 (2 %) von 1.694 Patienten hatten tödlich verlaufende kardiovaskuläre Ereignisse (Tabelle 1):

 

 

LHRHa / Patienten gesamt: 790 

tE2 / Patienten gesamt: 904 

Tödlich verlaufende kardiovaskuläre Ereignisse 

15 (2 %) 

11 (1 %) 

Tabelle 1: Anzahl der tödlich verlaufenden kardiovaskulären Ereignisse bei Patienten mit LHRGa vs. tE2. 

 

Die Zeit bis zum ersten kardiovaskulären Ereignis unterschied sich nicht zwischen den beiden Behandlungsformen [Hazard Ratio (HR) 1-11, 95 % KI 0-80-1-53; p=0,54; (einschließlich plötzlicher Todesfälle ohne Post-Mortem-Bericht); 1,20, 0,86-1,68; p=0,29 (nur bestätigte Gruppe)] 30 (34 %) der 89 kardiovaskulären Ereignisse bei Patienten, die tE2 erhielten, traten mehr als 3 Monate nach dem Absetzen von tE2 oder dem Wechsel zu LHRHa auf. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse waren Gynäkomastie, die signifikant häufiger bei Patienten mit tE2 auftrat und Hitzewallungen, die signifikant häufiger mit LHRHa assoziiert waren (jeweils p<0,0001).

 

Details

 

Rationale

 

Eine Herausforderung der ADT ist das erhöhte Risiko für eine erhebliche Langzeittoxizität. Eine mögliche Lösungs-Strategie wäre die Applikation von exogenem Estrogen, wie transdermales Estradiol (tE2) – das Hormon senkt wegen seiner negativen Rückkopplungsschleife auf Hypothalamus und Hypophyse den Testosteronspiegel unterhalb des Kastrationsniveaus. Da tE2 den hepatischen First-Pass-Effekt umgeht, ist davon auszugehen, dass die mit oral verabreichten Estrogenen assoziierte kardiovaskuläre Toxizität vermieden werden kann. Zudem werden die physiologischen Auswirkungen des Estrogenmangels umgangen.

 

Methodik

 

Aktuell untersucht das Prostata-Adenokarzinom-Transkutan-Hormon-Programm (PATCH) die kardiovaskuläre Toxizität von tE2 versus LHRHa. PATCH ist ein adaptives, fortlaufendes, randomisiertes, multizentrisches Phase-2/3-Studienprogramm, das an 52 Studienzentren in Großbritannien durchgeführt wird. Patienten mit lokal fortgeschrittenem PCa oder metastasierter Erkrankung wurden (1:2 ab August 2007, dann 1:1 ab Februar 2011) entweder auf LHRHa entsprechend der lokalen Anwendungsmodalitäten oder tE2-Pflaster (vier 100-μg-Pflaster pro 24 h, zweimal wöchentlich gewechselt, Reduktion auf drei Pflaster zweimal wöchentlich bei Kastration nach 4 Wochen (definiert als Testosteron ≤1,7 nmol/l) randomisiert. Das Verhältnis 1:2 wurde in der ersten Auswertungs-Phase (14. August 2007 bis 17. Februar 2011) verwendet, um die Erfahrung mit der Anwendung von tE2-Pflastern zu erhöhen. Die Randomisierung erfolgte mithilfe eines computergestützten Minimierungsalgorithmus und wurde nach mehreren Faktoren stratifiziert, darunter Krankheitsstadium, Alter, Raucherstatus und familiär auftretende Herzerkrankungen.

Primärer Endpunkt der vorliegenden Langzeit-Follow-up-Daten ist die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität, definiert als der Anteil der Patienten mit einem bestätigten kardiovaskulären Ereignis oder plötzlichem oder unerwartetem Tod. Kardiovaskuläre Ereignisse, einschließlich Herzinsuffizienz, akutes Koronarsyndrom, thromboembolischer Schlaganfall und andere thromboembolische Ereignisse wurden anhand vordefinierter Kriterien und Quelldaten bestätigt. Plötzliche oder unerwartete Todesfälle wurden einer kardiovaskulären Kategorie zugeordnet, wenn ein bestätigender Obduktionsbericht vorlag, und als andere relevante Ereignisse eingestuft, wenn dies nicht der Fall war.

 

Ergebnisse

 

Patienten-Charakteristika

Zwischen dem 14. August 2007 und dem 30. Juli 2019 wurden 1.694 Patienten nach dem Zufallsprinzip entweder auf LHRHa (n=790) oder tE2-Pflaster (n=904) verteilt. Das mediane Alter der Gesamtkohorte lag bei 73 (IQR 68-78) Jahren. 670 (40%) der insgesamt 1.694 Patienten hatten Metastasen entwickelt. Der mediane PSA-Wert bei lag zum Zeitpunkt der Randomisierung bei 35,0 (IQR 14,9-96,8) ng/ml. Für die meisten Patienten ohne Lymphknoten- und Fernmetastasen (426/458; 93%) war eine radikale Strahlentherapie der Prostata geplant (Protokoll wurde 12/2013 genehmigt).

 

Kastrationsraten

Insgesamt lag die mediane Nachbeobachtungszeit bei 3,9 (IQR 2,4-7,0) Jahren (1:2-Kohorte: 10,6 Jahre; 1:1-Kohorte: 3,5 Jahre). Von 1.657 (98 %) der 1.694 Teilnehmer waren Nachbeobachtungsdaten von mindestens 3 Monaten verfügbar. Die jeweiligen Kastrationsraten (≤1,7 nmol/l) nach 1 Monat bzw. 3 Monaten betrugen 65% (415/640) bzw. 93% (643/693) bei den Patienten mit LHRHa und 83% (661/793) bzw. 93% (721/776) bei denjenigen mit tE2. Bei tE2 gab es keinen Hinweis auf einen frühen Testosteronanstieg. Der mediane Estradiolspiegel war 4 Wochen nach der Randomisierung bei 70 (5.-95. Perzentil 18-124) pmol/l bei den Patienten mit LHRHa und 845 (376-2280) pmol/L bei denjenigen mit tE2.

 

Kardiovaskuläre Ereignisse

Wie Tabelle 1 zeigt, wurden 311 kardiovaskuläre Ereignisse untersucht, von denen 157 bei 145 Patienten mit einem bestätigten kardiovaskulären Ereignis oder plötzlichem oder unerwartetem Tod. Weitere zehn Ereignisse wurden als andere relevante Ereignisse eingestuft (plötzliche ungeklärte Todesfälle, für die kein Post-Mortem-Bericht zur Bestätigung der Endpunktdefinition vorlag). Dies resultiert in insgesamt 167 Ereignissen bei 153 Patienten. Die anderen relevanten Ereignisse werden mit der Hauptanalyse vorgestellt, da die klinischen Ursachen sehr wahrscheinlich kardiovaskulär sind (beispielsweise Myokardinfarkt oder Herzrhythmusstörungen und thromboembolische Ereignisse wie eine Lungenembolie).

 

 

1:2 Kohorte 

1:1 Kohorte 

Gesamt (n=1.694) 

 

LHRHa 
(n=82) 

tE2 Pflaster 
(n=162) 

LHRHa 
(n=708) 

tE2 Pflaster 
(n=742) 

 

Geprüfte Ereignisse 

38 

73 

88 

112 

311 

Endpunktkriterien erfüllende Ereignisse (fatal)* 

16 (6) 

35 (5) 

56 (9)  

60 (6) 

167 (26) 

Ereignis-Art (fatal) 

 

 

 

 

 

Herzversagen 

2 (0) 

4 (1) 

7 (2) 

12 (1) 

25 (4) 

Akutes Koronarsyndrom 

3 (1) 

12 (2) 

16 (2) 

18 (3) 

48 (8) 

Thromboembolischer Schlaganfall 

5 (1)  

6 (0)  

16 (1)  

15 (0) 

42 (2) 

Andere arterielle thromboembolische Ereignisse 

0 (0)  

0 (0)  

0 (0)  

2 (0) 

2 (0)  

Venöser Thromboembolismus 

2 (0) 

12 (1)  

14 (1)  

11 (0)  

39 (2) 

Andere relevante Ereignisse+ 

4 (4) 

1 (1) 

3 (3) 

2 (2) 

10 (10) 

Patienten mit mindestens einem kardiovaskulärem Endpunktereignis, inkl. plötzlichem Tod ohne Post-Mortem-Bericht 

14 (17%)  

32 (20%)  

50 (7%)  

57 (8%)  

153 (9%)  

Patienten mit bestätigtem kardiovaskulärem Endpunktereignis 

11 (13%)  

31 (19%)  

47 (7%)  

56 (8%)  

145 (9%)  

Tabelle 1: Geprüfte kardiovaskuläre Ereignisse, eingestuft als kardiovaskulärer Endpunkt. 
* Von 95 Ereignissen, die bei Patienten auftraten, die ursprünglich mit tE2-Pflastern behandelt wurden, traten 34 auf, nachdem die tE2 Pflaster abgesetzt und mit LHRHa begonnen wurde. +Andere relevante Ereignisse sind unerwartete Todesfälle, für die jedoch kein Post-Mortem-Bericht erstellt wurde, so dass die Endpunktdefinition nicht überprüft werden konnte. 

 

Die Daten zeigen keine konsistenten Unterschiede bzgl. der Art des Ereignisses in den beiden Behandlungsgruppen. 26 (2 %) von 1.694 Patienten hatten tödliche kardiovaskuläre Ereignisse: 15 (2 %) von 790 Patienten die LHRHa bekamen gegenüber 11 (1 %) von 904 Patienten, die tE2 erhielten. Der Anteil der Patienten mit mindestens einem kardiovaskulären Endpunkt oder plötzlichem Tod war, wie in Tabelle 1 aufgelistet, in beiden Behandlungsgruppen ähnlich. Die höhere Ereignisrate in der 1:2-Kohorte ist auf die längere Dauer der Nachbeobachtung in dieser Kohorte zurückzuführen. Zum Zeitpunkt dieser Intention-to-treat-Analyse (Datenstichtag Juli 2020), waren 417 der Patienten mit tE2 auf LHRHa gewechselt.

 

Patienten, die ein kardiovaskuläres Ereignis erlitten, waren mit höherer Wahrscheinlichkeit aktuelle oder ehemalige Raucher [104 von 153 (68 %) vs. 896 von 1.541 (58 %)] und etwas älter [Median 75 (IQR 70-79) Jahre vs. 73 (IQR 68-78) Jahre; Daten nicht gezeigt)]. Keiner der anderen Ausgangsparameter war mit einem kardiovaskulären Ereignis assoziiert.

 

Der Zeitraum bis zum ersten kardiovaskulären Ereignis unterschied sich nicht zwischen den Gruppen [HR 1,11; 95-KI 0,80-1,53; p=0,54 (inklusive der Patienten ohne Post-Mortem-Bericht). Wie Tabelle 2 zeigt, blieb die Rate über die Zeit konstant, wenngleich sich ein möglicher kumulativer Effekt hinsichtlich der Behandlungsdauer zeigte. Der Effekt blieb sowohl bei LHRHa als auch bei tE2 über die Zeit konstant.

 

 

LHRHa (n=790)  

tE2 Pflaster (n=904) 

Gesamt-Rate 

Bis 12 Monate 

2,8% (1,8–4,2) 

2,8% (1,9–4,2) 

Bis 24 Monate 

5,3% (3,8–7,3) 

6,4% (4,8–8,4) 

Bis 36 Monate 

7,2% (5,4–9,6) 

8,0% (6,2–10,4) 

Rate nach vorheriger Behandlungsexposition 

<6 Monate  

3,5% (2,1–6,0) 

3,5% (2,3–5,2) 

6 bis <12 Monate   

2,5% (1,3–4,7) 

2,7% (1,6–4,7) 

≥12 Monate 

2,4% (1,8–3,2) 

2,8% (2,1–3,7) 

Behandlungsstatus zum Zeitpunkt des Ereignisses 

Anzahl mit Ereignis 

64 

89 

Patient erhält tE2 

-- 

42 (47 %) 

Patient erhält kein tE2 mehr 

-- 

47 (53 %) 

<3 Monate nach Beendigung von tE2 

-- 

17 

3 bis < 6 Monate nach Beendigung von tE2 

-- 

3 

6 bis < 12 Monate nach Beendigung von tE2 

-- 

6 

12 bis < 24 Monate nach Beendigung von tE2 

-- 

9 

24 Monate nach Beendigung von tE2 

-- 

12 

Tabelle 2: Anzahl der Patienten mit einem kardiovaskulären Ereignis oder plötzlicher Mortalität, Konfidenzintervall: 95 %. 

 

Die Einbeziehung der zugewiesenen Behandlung als zeitvariable Kovariate lieferte ebenfalls keinen Hinweis darauf, dass sich der Behandlungseffekt mit zunehmender Behandlungsdauer unterscheidet. Wurde der Estradiolspiegel als zeitvariable Kovariate einbezogen, ergaben sich ebenfalls keine Hinweise darauf, dass höhere Estradiolspiegel bei der transdermalen Anwendung mit Pflastern mit einem erhöhten Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis assoziiert sind. 186 Patienten mit Metastasen (davon 90: LHRHa und 96: tE2) hatten Docetaxel als Upfront- im Rahmen einer Erstlinien-Therapie erhalten: Die Ergebnisse dieser Patienten legen nahe, dass sich die kardiovaskulären Ereignisse nicht erhöhen, wenn tE2 gemeinsam mit Docetaxel verabreicht wird.

 

Auswirkungen auf Blutwerte, Gewicht und Blutdruck

Nach 6 und 12 Monaten unterschieden sich die Veränderungen der Nüchternglukose- und Gesamtcholesterinkonzentrationen signifikant zwischen den Behandlungsgruppen – bei den Patienten, die noch ihre ursprünglich zugewiesene Behandlung bekamen (p<0,0001 für alle Vergleiche), wobei die Werte in der LHRHa-Gruppe im Vergleich zum Ausgangswert anstiegen, während sie in der tE2-Gruppe abnahmen. High Density Lipoprotein (HDL)-Cholesterin und Gewicht nahmen in beiden Gruppen nach 6 und 12 Monaten in ähnlichem Umfang zu. Der systolische als auch der diastolische Blutdruck stiegen nach 6 Monaten bei den Patienten mit LHRHa-Therapie an, während die beiden Parameter in der tE2-Gruppe abnahmen, wenngleich die Änderungen gering waren (relevante Daten wurden nach 12 Monaten nicht erhoben).

 

Weitere unerwünschte Ereignisse

Die häufigsten unerwünschten Ereignisse waren Gynäkomastie (alle Grade) [LHRHa: 279 (38 %) Ereignisse/730 Patienten vs. tE2: 690 (86 %)/807; (p<0,0001)] und Hitzewallungen (alle Grade) [LHRHa: 628 (86 %) vs. tE2: 280 (35 %); (p<0,0001)].

 

Fazit

 

Insgesamt zeigen die Langzeitdaten, die tE2-Pflaster mit LHRHa vergleichen, keinen Behandlungsunterschied bei PCa-Patienten mit ADT hinsichtlich der kardiovaskulären Mortalität oder Morbidität. Laut Studienautoren reichen die vorliegenden Daten zur Kastrationsrate, vor allem in Hinblick darauf, dass die Kastration mit tE2 schneller erfolgt als mit LHRHa und die umfassenden Daten zur Toxizität aus, um den Einsatz von tE2 für eine kurzfristige Anwendung (< 6 Monate) zu unterstützen. Beispielsweise als parallele Therapie zur Strahlentherapie beim lokalisiertem PCa mit mittlerem Risiko. Auch für Patienten, die stark von unerwünschten Ereignissen der LHRHa betroffen sind, bieten die vorliegenden Daten eine Basis für eine ausführlichere und individuellere Diskussion über die verschiedenen Ansätze zur ADT.