mUC: Immuntherapie bei
nicht-Eignung für
Cisplatin?
 

Metastasiertes Harnblasenkarzinom: Immuntherapie bei Cisplatin-ungeeigneten Patienten in der Erstlinie?

 

Jeder zweite Patient mit einem metastasierten Urothelkarzinom ist für eine initiale Cisplatin-basierte Chemotherapie nicht geeignet. In der Regel bekommen diese Patienten dann eine Carboplatin-haltige Chemotherapie. Seit Kurzem sind auch die Immuntherapeutika Pembrolizumab und Atezolizumab als Option zugelassen, wenn Patienten für eine initiale Cisplatin-basierte Chemotherapie ungeeignet sind. Eine Arbeitsgruppe um Emily Feld (Pennsylvania, Philadelphia, USA) verglich jetzt in einer großen retrospektiven Kohorten-Studie mit Patientendaten aus der amerikanischen Datenbank Flatiron das Gesamtüberleben von Cisplatin-ungeeigneten Patienten, die eine Carboplatin-basierten Chemotherapie oder eine Immuntherapie als Erstlinientherapie erhielten.

 

Summary

 

Die beiden Immuncheckpoint-Inhibitoren Pembrolizumab und Atezolizumab wurden kürzlich beschleunigt für die Erstlinientherapie bei Patienten mit einem metastasierten Urothelkarzinom (mUC) zugelassen, die für die Standardtherapie mit einer Cisplatin-basierten Chemotherapie nicht geeignet sind. Cisplatin-ungeeignete Patienten erhielten bisher meist eine Carboplatin-basierte Chemotherapie.

Allerdings gibt es bisher keine Vergleichsdaten zu Carboplatin und Immuntherapie in der ersten Therapielinie. Ferner veröffentlichten sowohl die Food and Drug Administration (FDA) als auch die European Medicines Agency (EMA) eine Sicherheitswarnung. Sie besagt, dass mUC-Patienten mit „programmed cell death ligand 1“ (PD-L1)-negativen Tumoren (<1% der Tumorzellen PD-L1 positiv), die eine Immuntherapie erhielten, ein geringeres Gesamtüberleben (OS) zeigen als Patienten mit platinhaltiger Chemotherapie. Aus diesem Grund wurde in der ersten Therapielinie beim mUC die Immuntherapie auf Cisplatin-ungeeignete Patienten beschränkt, die einen PD-L1-positiven Tumor aufweisen oder für die überhaupt keine Form einer platinhaltigen Chemotherapie infrage kommt. Da die Mitteilungen der EMA und FDA auf einer frühzeitigen Überprüfung von zwei laufenden Phase-III-Studien mit Platin-ungeeigneten Patienten (KEYNOTE-361 und IMVigor-130) beruhen, stehen die vollständigen Ergebnisse und ihre Bedeutung für die klinische Praxis noch aus.

 

Eine Arbeitsgruppe um Emily Feld (Pennsylvania, Philadelphia, USA) untersuchte jetzt in einer großen retrospektiven Kohorten-Studie in der klinischen Praxis die Wirksamkeit der Immuntherapie (n=478) gegenüber Carboplatin-basierter Chemotherapie (n=1.530) als Erstlinientherapie in mUC-Patienten, die für eine Cisplatin-basierte Chemotherapie nicht geeignet waren. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben (OS). Es zeigte sich, dass die geschätzte OS-Rate bei Patienten mit Immuntherapie verglichen mit einer Carboplatin-basierten Chemotherapie nach 12 Monaten niedriger (p=0,05) und nach 36 Monaten höher (p<0,001) war. In den ersten 12 Monaten war die Immuntherapie gegenüber Carboplatin mit einem erhöhten Sterberisiko assoziiert (HR 1,37. p<0,001). Bei den Patienten, die ein Jahr nach Therapie-Beginn am Leben waren, verbesserte sich anschließend das OS zugunsten der Immuntherapie (HR 0,50, p=0,01). Der Unterschied des Effektes der Immuntherapie vor und nach 12 Monaten erwies sich als statistisch signifikant (p=0,001). In Bezug auf den zweiten Endpunkt, das Zweitlinientherapie-freie Überleben (TFS), wurde ein ähnlicher Zusammenhang beobachtet: So war die Immuntherapie in den ersten 12 Monaten mit einem verringerten TFS assoziiert, (HR 1,18, p=0,02). Nach 12 Monaten erhöhte sich das TFS zum Vorteil der Immuntherapie (HR 0,38, p=0,003).

 

Bei der Entscheidung für eine Therapieoption bei Cisplatin-ungeeigneten mUC-Patienten in der ersten Therapielinie sollte der kurzfristige Nutzen einer Chemotherapie mit Carboplatin gegenüber dem möglicherweise langfristigen Benefit einer Immuntherapie genau abgewogen werden, so lautet das Resümee von Studienautorin Feld.

 

Details

 

Rationale


Standardtherapie für Patienten mit einem mUC in der Erstlinie ist die Cisplatin-haltige Chemotherapie – die bisher einzige Erstlinientherapie mit nachgewiesenem Überlebensvorteil. Allerdings wird sie von jedem zweiten Patienten nicht vertragen. Diese Patienten haben in der Regel nicht nur eine schlechte Prognose, es gibt für sie auch keine anerkannte Therapiealternative. Meist erhalten die Patienten dann eine Carboplatin-basierte Chemotherapie. Mit der beschleunigten Zulassung der beiden Immuncheckpoint-Inhibitoren Pembrolizumab und Atezolizumab für die Erstlinientherapie bei für Cisplatin-ungeeigneten Patienten steht jetzt auch eine Alternative zu Carboplatin zur Verfügung. Allerdings gibt es hierzu keine direkten Vergleichsdaten. Die beschleunigte Zulassung der Immuntherapeutika beruhte auf Surrogat-Endpunkten, wie den Raten des Gesamtansprechens, der beiden einarmigen Phase-II-Studien KEYNOTE-052 und IMVigor-210. In diesen beiden unkontrollierten Studien zur Immuntherapie war die Gesamtansprechrate niedriger als in Studien zur Carboplatin-haltigen Chemotherapie (24%-29% vs. 40%-45%).

 

Ohne Vergleichsdaten mit patientenbezogenen Endpunkten (wie beispielsweise das Gesamtüberleben) können wichtige Informationen zur Wirkung übersehen werden, was die Entscheidungsfindung für die bestmögliche Therapie erschwert. Hinzu kommt, dass kürzlich sowohl die FDA als auch die EMA eine Sicherheitswarnung veröffentlichten. Der Grund war, dass mUC-Patienten mit PD-L1-negativen Tumoren, die mit der Immuntherapie behandelt wurden, weniger lange lebten, als Patienten mit platinhaltiger Chemotherapie. Als Folge wurde die Immuntherapie bei Cisplatin-ungeeigneten Patienten auf diejenigen beschränkt, die einen PD-L1-positiven Tumor aufweisen oder für die überhaupt keine Form einer platinhaltigen Chemotherapie infrage kommt. Da die Mitteilungen der EMA und FDA auf einer frühzeitigen Überprüfung von zwei laufenden Phase-III-Studien (KEYNOTE-361 und IMVigor-130) mit Platin-ungeeigneten Patienten basieren, stehen die vollständigen Ergebnisse noch aus. Ungewiss ist auch, wie die Resultate in die klinische Praxis einfließen werden.

 

Methodik


Eine Arbeitsgruppe um Emily Feld (Pennsylvania, Philadelphia, USA) verglich in einer retrospektiven Kohorten-Studie mit Daten aus der klinischen Praxis (Flatiron Datenbank) die Wirksamkeit der Immuntherapie gegenüber Carboplatin-basierter Chemotherapie als Erstlinientherapie bei mUC-Patienten, die für eine Cisplatin-basierte Chemotherapie nicht geeignet waren. Von den in die Studie aufgenommenen Patienten hatten 1.530 eine Carboplatin-basierte Chemotherapie und 487 eine Immuntherapie als Erstlinientherapie erhalten. [Zeitraum: 1. Januar 2011-18. Mai. 2018, Patientendaten aus der Flatiron Health Datenbank]. In die Studie wurden Patienten mit einem Urothelkarzinom im Stadium IV (Blase, Nierenbecken, Harnleiter oder Harnröhre) und Patienten mit einem UC im Frühstadium, die anschließend eine metastasierte Erkrankung entwickelt hatten und bei denen eine Erstlinientherapie eingeleitet wurde eingeschlossen. Der primäre Endpunkt war das OS. Als sekundärer Endpunkt wurde das Zweitlinientherapie-freie Überleben definiert als Zeitspanne vom Beginn der Erstlinientherapie bis zum frühesten Start der Zweitlinientherapie oder Tod.

 

Ergebnisse

 

Patientencharakteristika


Das mediane Alter der Patienten lag bei 78 Jahren, die meisten davon waren männlich (73%), weiß (74%) und hatten eine Raucherhistorie (72%). Ein Großteil wurde in einer Gemeinschaftspraxis behandelt (97%). Es fällt auf, dass nur 7% der Patienten auf PD-L1-Expression der Tumorzellen getestet wurden – das entspricht dem ursprünglichen Original-Label der Immuntherapie, die keine PD-L1-Testung für Cisplatin-ungeeignete Patienten vorsah. Die ungewichteten Patientencharakteristika waren zu Studienbeginn zwischen den Behandlungsgruppen bis auf zwei Ausnahmen ähnlich. So wiesen die Patienten mit initialer Immuntherapie einen schlechteren ECOG Performance Status (ECOG ≥2: 33% vs. 24%) auf als diejenigen mit Carboplatin und eine höhere Punktzahl im Elixhauser Komorbiditäten Index (>5: 14% vs. 5,8%). Die gewichteten Ausgangscharakteristika waren zwischen den beiden Gruppen ausgeglichen. Bei den mit einer Immuntherapie behandelten Patienten betrug die mediane Zeit von der Diagnose bis zur Erstlinienbehandlung 31 Tage und bei denjenigen mit Carboplatin-basierter Chemotherapie 35 Tage.

 

Gesamtüberleben


Die mediane Nachbeobachtungszeit lag bei 7,2 Monaten – definiert als der Zeitpunkt vom Beginn der Behandlung bis zum Tod, der Datenextraktion (31. August 2018) oder der letzten EHR (electronic health record)-Aktivität. Die Nachbeobachtungszeit der Patienten umfasste 11 Monate. Während der Nachbeobachtung verstarben 939 der Patienten mit initialer Carboplatin- und 280 mit initialer Immuntherapie. Das mediane OS betrug 9 Monate in der Immuntherapie-Gruppe und 11 Monate in der Carboplatin-Gruppe.

 

Die geschätzte OS-Rate war Patienten mit Immuntherapie- im Vergleich zur Carboplatin-basierten Chemotherapie nach 12 Monaten niedriger (40% [95%-KI 34-45%] vs. 46% [95%-KI 43-49%], p=0,05) und nach 36 Monaten höher (28% [95%-KI 22–35%] vs. 13% [95%-KI 11-16%], p<0,001).

 

In den ersten 12 Monaten zeigte sich, dass die Immuntherapie gegenüber Carboplatin mit einem erhöhten Sterberisiko assoziiert war (HR 1,37, 95%-KI 1,15-1,62, p<0,001). Bei den Patienten, die ein Jahr nach Therapie-Beginn am Leben waren, verbesserte sich anschließend das Gesamtüberleben bei denjenigen, die eine Immuntherapie erhalten hatten (HR 0,50, 95%-KI 0,30-0,85, p=0,01). Der Unterschied des Effektes der Immuntherapie vor und nach 12 Monaten war statistisch signifikant (p=0,001).

 

Zweitlinientherapie-freie Überleben


Insgesamt erhielten 818 Patienten (41%) eine zweite Therapielinie: 22% in der initialen Immuntherapie-Gruppe und 47% in der initialen Carboplatin-Gruppe. 39% (41/106) wurden in der Immuntherapie-Gruppe „second-line“ mit einer platinhaltigen Chemotherapie behandelt, in der Carboplatin-Gruppe 39% (279/712) mit einer Immuntherapie.

 

Das Follow-up bei den überlebenden Patienten, die nach der Erstlinienbehandlung keine Zweitlinientherapie erhalten hatten, umfasste 8 Monate. Während der Nachbeobachtung gab es bei den Patienten mit initialer Carboplatin-Behandlung 1.304 Todesfälle oder Progressionen zu einer Zweitlinientherapie. Bei den Patienten mit initialer Immuntherapie war dies bei 399 der Fall.

 

Nach 12 Monaten waren in beiden Therapie-Gruppen ähnlich viele Patienten Zweitlinientherapie-frei (26% [95%-KI 21-31%] vs. 24% [95%-KI 43-49%], p=0,5). Nach 36 Monaten ergab sich ein anderes Bild: Zu diesem Zeitpunkt lebten in der Immuntherapie-Gruppe rund doppelt so viele Patienten Zweitlinientherapie-frei verglichen mit der Carboplatin-Gruppe (28% [95%-KI 22-35%] vs. 13% [95%-KI 11-16%], p<0,001). Ähnlich wie bei den beobachteten Zusammenhängen hinsichtlich des Gesamtüberlebens war die Immuntherapie in den ersten 12 Monaten mit einem verringerten TFS assoziiert, (HR 1,18, 95%-KI 1,03-1,36; p=0,02). Nach 12 Monaten erhöhte sich das TFS zugunsten der Immuntherapie (HR 0,38, 95%-KI 0,20-0,71, p=0,003).

 

Post-hoc-Subgruppenanalysen


Nach 6 Monaten war das OS bei den mit einer Immuntherapie behandelten Patienten mit einem PD-L1-positiven Tumor am höchsten und bei denjenigen mit einem PD-L1-negativen Tumor am niedrigsten, im Vergleich zur Carboplatin-basierten Chemotherapie.

 

Einschränkungen der Studie


Laut Studienautorin Feld kann das Restrisiko einer Beteiligung von unbeobachteten Störgrößen nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Beispielsweise gab die für die Studie herangezogene Datenbank keine Auskunft darüber, ob Viszeral-Metastasen vorlagen – ein Indikator für eine schlechte Prognose beim mUC. Da eine PD-L1-Testung erst ab Juni 2018 durchgeführt werden musste, hatten die nach PD-L1-Status stratifizierten Analysen eine verringerte statistische Power – bei über 90% der Patienten war kein PD-L1-Test erfolgt. Es lag auch keine spezifische Definition für die Nichteignung einer Cisplatin-basierten Chemotherapie vor. Vielmehr wurde angenommen, dass Patienten – im Einklang mit den Empfehlungen der Leitlinien – ungeeignet waren, wenn sie als Erstlinientherapie Carboplatin oder Immuntherapie erhielten. Ebenso gab die Datenbank keine Auskunft über behandlungsbedingte unerwünschte Ereignisse.

 

Fazit

 

Die vorliegenden Daten weisen bei Cisplatin-ungeeigneten mUC-Patienten auf einen kurzfristigen Nutzen einer Chemotherapie mit Carboplatin und einen langfristigen Nutzen einer Immuntherapie in der ersten Therapielinie hin, so lautet das Fazit von Studienautorin Feld. Die Entscheidungsfindung für die Behandlung von Cisplatin-ungeeigneten mUC-Patienten in ersten Therapielinie erfordert, dass diejenigen Patientengruppen identifiziert werden, die von der entsprechenden Behandlung mit einer Carboplatin-haltigen Chemotherapie oder einer Immuntherapie profitieren oder ggf. Nachteile daraus ziehen würden. Gleichzeitig spielt der Patientenwunsch eine wichtige Rolle. So ist es wesentlich zu verstehen, ob Patienten eine systemische Therapie mit einem kurz- oder langfristigen Nutzen erhalten möchten – vor allem bei metastasierenden Erkrankungen.

Bis die aktuell ausstehenden Studienergebnisse von KEYNOTE-361 und IMVigor-130 vorliegen, können laut Studienautorein Feld die Ergebnisse der vorliegenden Studie dazu beitragen, die Entscheidungsfindung von Ärzten und Patienten zu verbessern.

REFERENZEN