Immuntherapie beim
Harnblasenkarzinom
 

Immuntherapie beim Harnblasenkarzinom

 

Eine Arbeitsgruppe um Venu Madhav Konala (Ashland, Kentucky, USA) beleuchtet in einem Überblicksartikel anhand von mehreren Studien (KEYNOTE-045, IMvigor211, CheckMate275, Javelin Solid Tumor, MEDI4736, und KEYNOTE-0528) die Bedeutung und Herausforderungen der Immuncheckpoint-Inhibitoren beim Harnblasenkarzinom.

 

Summary

 

Mit Einführung der Checkpoint-Inhibitoren wurden in den letzten beiden Jahren große Fortschritte in der Therapie des Harnblasenkarzinoms (Urothelkarzinom: UC) erzielt. Von der Food and Drug Administration (FDA) ist dieser Ansatz der Immuntherapie beim lokal fortgeschrittenen oder metastasierten UC ist in der Zweitlinie zugelassen. Bei Patienten mit PD-L1 positivem UC, die für eine Cisplatin-basierte Chemotherapie nicht infrage kommen, sind Pembrolizumab und Atezolizumab zugelassen.[1]

 

Die kürzlich aktualisierten Leitlinien der European Society for Medical Oncology (ESMO)[2] empfehlen, dass Pembrolizumab bei Patienten mit platinrefraktärem Harnblasenkarzinom in Erwägung gezogen werden sollte, da es das Gesamtüberleben verbessert [I, A]. Die therapeutische Anwendung anderer von der European Medicines Agency (EMA) zugelassener Immuncheckpoint-Inhibitoren kann auch bei geringerer Evidenz der vorliegenden Daten in Betracht gezogen werden: Atezolizumab [II, B], Nivolumab [III, B]. Laut Empfehlungen der ESMO stellen Pembrolizumab oder Atezolizumab eine gute therapeutische Option für Patienten mit PD-L1-positiven fortgeschrittenem Blasenkarzinom in der ersten Therapielinie dar, die für eine Behandlung mit Cisplatin nicht geeignet sind [III, B]. Atezolizumab und Pembrolizumab waren die einzigen Wirkstoffe, die auf der Grundlage klinischer Phase-III-Studien von der FDA für die zweite Therapielinie zugelassen wurden. Dabei hatte nur Pembrolizumab in der KEYNOTE-045 einen statistisch signifikanten Vorteil des Gesamtüberlebens (OS) gegenüber Chemotherapie gezeigt.[1]

 

Eine Arbeitsgruppe um Venu Madhav Konala (Ashland, Kentucky, USA)[2] diskutierten anhand von sechs Studien (KEYNOTE-045, IMvigor211, CheckMate275, Javelin Solid Tumor, MEDI4736, und KEYNOTE-0528) die Bedeutung der Immuntherapie beim Blasenkarzinom sowie die damit verbundenen unerwünschten Ereignisse (UE) und Einschränkungen. Die Arbeitsgruppe identifizierte vier mit dieser Therapieform assoziierten Herausforderungen: (1) Unterscheidet sich der Primärtumor genetisch von den Metastasen, wird die Wirkung der Immuntherapie beeinträchtigt. (2) Gegen einzelne Substanzen kann sich eine Behandlungsresistenz entwickeln. (3) Es gibt Schwierigkeiten, klinische sowie prädiktive Biomarker zu identifizieren, die für verschiedene Tumortypen funktionieren. (4) die Immuntherapie ist eine mit hohen Kosten verbundene Behandlungsform.[1]

 

Zurzeit laufen klinische Studien, die eine Kombination von Immuntherapie und Chemotherapie in der Erstlinie bei metastasiertem Blasenkrebs prüfen und zugleich die Behandlungsdauer bestimmen. Ferner untersuchen verschiedene klinische Studien die Immuntherapie alleine oder in Kombination in einem neoadjuvanten und adjuvanten Setting. Ziel dabei ist es, die Heilungschancen zu erhöhen.[1]

 

Details

 

Mit der Immuntherapie gegen umprogrammierte Krebszellen vorgehen

 

Das Immunsystem des menschlichen Körpers – deren Protagonisten aktivierte T-Lymphozyten sind – zerstört normalerweise anormale Zellen, die sich in Krebszellen verwandeln können. Immunzellen wie zytotoxische T-Zellen haben Rezeptoren, beispielsweise das „cytotoxic T-lymphocyte-associated protein 4“ (CTLA-4) oder das „programmed cell death protein 1“ (PD-1). Normale Zellen besitzen den „programmed cell-death-ligand 1“ (PD-L1). PD-L1 bindet an die Rezeptoren der T-Zelle, um als „Checkpoint“ die Immunantwort zu hemmen.[1]

 

Manche Krebszellen haben die Fähigkeit entwickelt, die Checkpoints des Immunsystems zu manipulieren. Einigen hämatologischen und soliden Tumoren gelingt dies, indem sie PD-L1 produzieren. Interagiert PD-L1 mit den entsprechenden Rezeptoren auf den T-Zellen, werden diese abgeschaltet und die Krebszellen können sich ungestört vermehren.[1]

 

Das Verständnis darüber, wie es Krebszellen gelingt, dem Immunsystem zu entkommen, führte zur Entwicklung von biotechnologischen Wirkstoffen – den Immuntherapeutika. Etliche dieser Substanzen blockieren PD-1 und CTLA-4 auf T-Zellen, andere hemmen PD-L1 auf Tumorzellen. So kann das Immunsystem die Krebszellen erkennen und zerstören. Die Immuntherapie zählt zu den bedeutendsten und sich schnell entwickelnden Durchbrüchen in der Onkologie der letzten Jahre. Sie wurde für die Behandlung bei verschiedenen Krebsarten entweder als Erstlinientherapie alleine oder in Kombination mit Chemotherapie oder in der Zweitlinie bzw. in weiteren Behandlungslinien zugelassen.[1]

 

Immuntherapie beim Harnblasenkarzinom

 

Eine der Tumorarten, bei denen die Immuntherapie in den letzten zwei Jahren signifikante Therapiefortschritte erreichte, ist das Harnblasenkarzinom. Die Prävalenz dieser Krebsart ist hoch: Das Robert-Koch-Institut schätzt, dass in Deutschland im Jahr 2020 8.100 Frauen und 24.700 Männer an einem UC neu erkranken werden.[3] Bei Patienten mit einem Harnblasenkarzinom in Stadium IV konnte die Cisplatin-basierte Chemotherapie zwar das Gesamtüberleben verbessern, doch die Heilungsraten sind bei geringer Lebenserwartung niedrig.

In dem vorliegenden Überblicksartikel beleuchtet eine Arbeitsgruppe um Venu Madhav Konala (Ashland, Kentucky, USA) die Bedeutung der Immuntherapie beim Blasenkarzinom sowie die damit assoziierten UEs und Einschränkungen. In die Analyse wurden die Studien KEYNOTE-045, IMvigor211, CheckMate275, Javelin Solid Tumor, MEDI4736, und KEYNOTE-0528 einbezogen.[1]

 

Studie
 
Substanz
 
Phase
 
OS
(Monate)
PFS
(Monate)
ORR
(%)
DOR
 
Metastasiertes UC (Zweitlinientherapie)
 
KEYNOTE-045 Pembrolizumab 3 10,3 2,1 21 68% nach 1 Jahr
IMvigor211 Atezolizumab (PD-L1>5%) 3 11,1 NR 23 15,9 Monate
CheckMate275 Nivolumab 2 8,74 2 19,6 NR
Javelin solid tumor Avelumab 1b 13,7 2,6 18,2 NR
MEDI4736 Durvalumab 1/2 18,2 1,5 17,8 NR
 
Patienten, ungeeignet für Cisplatin-basierte Chemotherapie
 
KEYNOTE-0528 Pembrolizumab 2 11,5 NR 29 68% nach 1 Jahr
IMvigor211 Atezolizumab 2 15,9 2,7 23 NR

 

Zusammenfassung der von der FDA zugelassenen Checkpoint-Inhibitoren beim UC nach Konala et al. American Journal of Therapeutics 0, 1-4 (2019).

 

Zweitlinientherapie

 

Beim lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Blasenkarzinom ist die Immuntherapie in der Zweitlinie zugelassen. Aktuell hat die FDA fünf Checkpoint-Inhibitoren für Patienten zugelassen, die während oder nach einer Platin-basierten Therapie eine Progression erfahren. Darunter drei PD-1-Hemmer (Pembrolizumab, Nivolumab und Atezolizumab) und zwei PD-L1-Hemmer (Durvalumab und Avelumab). In der Europäischen Union (EU) sind entsprechend Pembrolizumab, Nivolumab und Atezolizumab für die Zweitlinientherapie zugelassen. In der kürzlich aktualisierten ESMO-Leitlinie[1] zum UC wird empfohlen: Pembrolizumab sollte bei Patienten mit platinrefraktärem UC in Erwägung gezogen werden, da es das Gesamtüberleben verbessert [I, A]. Die therapeutische Anwendung anderer von der EMA zugelassener Immuncheckpoint-Inhibitoren kann auch bei geringerer Evidenz der vorliegenden Daten in Betracht gezogen werden: Atezolizumab [II, B], Nivolumab [III, B]. Atezolizumab und Pembrolizumab waren die einzigen Wirkstoffe, die auf der Grundlage klinischer Phase-III-Studien die Zulassung für die zweite Therapielinie erhielten – dabei hatte nur die KEYNOTE-045-Studie mit Pembrolizumab einen statistisch signifikanten OS-Vorteil gegenüber Chemotherapie gezeigt.[1]

 

Erstlinientherapie

 

Therapiestandard für die Erstlinie bei Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Harnblasenkarzinom ist die Cisplatin-basierte Chemotherapie. Fast jeder zweite Patient mit einem Blasenkarzinom eignet sich dafür jedoch nicht. Die Ursachen sind fortgeschrittenes Alter, Komorbiditäten oder eine Nierenfunktionsstörung. Für Patienten, die für eine Cisplatin-basierte Chemotherapie nicht infrage kommen, sind Atezolizumab und Pembrolizumab von der FDA und EMA zugelassen. Laut Empfehlungen der ESMO [2] stellen Pembrolizumab oder Atezolizumab eine gute therapeutische Option für Patienten mit PD-L1-positivem fortgeschrittenem UC dar, die für eine Behandlung mit Cisplatin nicht geeignet sind [III, B].

 

Patienten, die für eine platinhaltige Chemotherapie ungeeignet sind, vertragen die Immuntherapie gut mit einer Gesamtansprechrate (ORR) im Bereich von 23% bis 29%. Das OS reichte von 11,5 Monate bis 15,9 Monate (Abb1).[1]

 

Im Vergleich zur Chemotherapie erwies sich die Immuntherapie als besser verträglich. Am häufigsten berichten die mit einem Checkpoint-Inhibitor behandelten Patienten über Pruritus, Müdigkeit, Übelkeit, Durchfall, verminderter Appetit sowie Asthenie. Laut Studienautor Konala sollte bei der Behandlung auf Autoimmunreaktionen geachtet werden. Denn das Immunsystem kann jedes Organ angreifen, am häufigsten die Schilddrüse – schwere UEs der Grade 3, 4 und 5 werden jedoch selten beobachtet.[1]

 

Im Allgemeinen werden die meisten UEs mit unterstützender Pflege bei Aufrechterhaltung der Immuntherapie und falls notwendig mit einer Immunsuppression durch Steroide oder ggf. bei Nicht-Ansprechen auf Steroide mit anderen antiinflammatorischen Substanzen behandelt. Eine Protonenpumpenhemmer-Therapie zusammen mit Pneumocystis jirovecii Prophylaxe sollte bei Patienten in Betracht gezogen werden, die über einen längeren Zeitraum hochdosierte Steroide benötigen.[1]

 

Die Herausforderungen

 

Trotz der positiven Effekte muss sich die Immuntherapie einigen Herausforderungen stellen. So wirkt sie nicht bei allen Harnblasenkarzinom-Patienten in Stadium IV, die Gesamtansprechrate liegt im Bereich von 17% und 23% (Abb1). Die Forschung zur Identifizierung von Biomarkern soll helfen, Patienten identifizieren, die gut auf die Immuntherapie ansprechen. Als mögliche Biomarker werden tumorinfiltrierende Lymphozyten, PD-L1-Expression und Tumormutationslast untersucht.[1]

 

Hinzu kommt, dass noch nicht alle Mechanismen der Immuntherapie verstanden wurden. Und das macht es schwierig, einen Biomarker zu identifizieren, der über ein breites Spektrum an zugelassenen Immuntherapien funktionieren würde. Hervorzuheben ist, dass diejenigen Patienten, die auf eine Immuntherapie ansprechen, zu einer verlängerten Ansprechdauer tendieren (DOR: Duration of Response).[1]

 

Einschränkungen der Immuntherapie

 

Die Immuntherapie weist einige Einschränkungen auf. (1) Unterscheidet sich der Primärtumor genetisch von den Metastasen, wird die Wirkung der Immuntherapie beeinträchtigt. (2) Gegen einzelne Wirkstoffe kann eine Behandlungsresistenz auftreten. (3) Es gibt Schwierigkeiten bei der Identifizierung klinischer sowie prädiktiver Biomarker, die über verschiedene Tumortypen hinweg funktionieren. (4) die Immuntherapie ist eine mit hohen Kosten verbundene Behandlungsform.[1]

 

Ausblick

 

Zurzeit laufen klinische Studien, die eine Kombination von Immuntherapie und Chemotherapie in der Erstlinie bei metastasiertem Blasenkrebs prüfen und zugleich die Behandlungsdauer bestimmen. Außerdem untersuchen verschiedene klinische Studien die Immuntherapie alleine oder in Kombination in einem neoadjuvanten und adjuvanten Setting mit dem Ziel, die Heilungschancen zu erhöhen. Wie Studienautor Konala abschließend hervorhebt, werden bessere Biomarker benötigt, um diejenigen Patienten zu identifizieren, die auf eine Immuntherapie ansprechen.

REFERENZEN