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Prostata-Screening: Stockholm3-Test, MRT

und gezielte Biopsie

 

Wissenschaftler des Karolinska Instituts in Schweden stellten 2015 eine erweiterte Testmethode zur Prostatakrebs (PCa)-Früherkennung vor – der sogenannte Stockholm3-Test ist ein Blut-Test, der plasmaproteinbasierte Biomarker und genetische Polymorphismen zusammen mit klinischen Variablen erfasst. Eine prospektive Diagnose-Studie zeigte: Stockholm3 konnte – verglichen mit einem Prostataspezifisches Antigen (PSA)-Schwellenwert von ≥3 ng/ml – 44 % (95 % KI 35–54) an „gutartigen“ Biopsien vermeiden und die Detektion klinisch insignifikanter PCa um 17% (7-26) reduzieren, ohne die Entdeckung klinisch relevanter Karzinome (Gleason-Score ≥7) zu gefährden.[1] Aktuell publizierte Daten der prospektiven, populationsbasierten, randomisierten, offenen, Nichtunterlegenheitsstudie STHLM3-MRI (Tobias Nordström et al., Karolinska Institut, Schweden) zeigten, dass eine MRT-gesteuerte- und systematische Standardbiopsie bei Männern mit suspektem MRT-Ergebnis, der traditionellen Standardbiopsie in Bezug auf die Entdeckung von klinisch relevantem PCa nicht unterlegen war. Nun analysierte die Arbeitsgruppe in der vorliegenden Studie, ob der Stockholm3-Test bei der PCa-Früherkennung zur Risikostratifizierung vor MRT und gezielten Biopsien eingesetzt werden kann.

 

Summary

 

Die prospektive, populationsbasierte, randomisierte, offene, Nichtunterlegenheitsstudie STHLM3-MRI (Tobias Nordström et al., Karolinska Institut, Schweden) nahm 2.293 Männer aus der Region Stockholm mit erhöhtem PCa-Risiko (PSA-Wert ≥3 ng/ml oder einem Stockholm3-Score ≥0,11) in die Randomisierung (2:3) auf: Der experimentelle Arm (n=1.372) erhielt eine biparametrische Magnetresonanztomographie (MRT), gefolgt von MRT-gesteuerter und systematischer Prostatabiopsie (Entnahme von 10-12 Gewebeproben der Prostata mittels transrektalem Ultraschall) nach verdächtigem MRT-Befund. Der Standard-Arm (n=921) hingegen erhielt eine systematische Prostatabiopsie.

Der Stockholm3-Test konnte klinisch signifikante PCa in einem Screening-Setting mit moderner MRT-Bildgebung und MRT-gesteuerten Biopsieverfahren mindestens so gut identifizieren wie die PSA-Bestimmung – und dabei gleichzeitig die Zahl der durchgeführten MRT-Verfahren sowie die Zahl der zur Biopsie überwiesenen Männer verringern.

 

Außerdem zeigte sich: Im Vergleich zu klassischen Screening-Ansätzen – bei denen die PSA-Bestimmung in Kombination mit standardmäßigen transrektal ultraschallgesteuerten Biopsien verwendet wird – verbesserte der Stockholm3-Test, gefolgt von einer MRT-gesteuerten Biopsie, die Identifizierung von klinisch signifikantem PCa und war mit weniger Überdiagnosen (Erkennen von niedrig-gradigem PCa – Gleason-Score: 3 + 3) assoziiert.

 

Details

 

Rationale

Patienten mit einem verdächtigen Serum-PSA-Wert müssen in der Regel eine unangenehme und zudem mit einem Infektionsrisiko verbundene Stanzbiopsie erhalten. Hinzu kommt, dass das PSA-basierte Screening mit einer hohen Rate an Überdiagnosen einhergeht und sich nicht für organisierte PCa-Screening-Settings eignet. Wissenschaftler des Karolinska Instituts in Stockholm haben einen erweiterten Screening-Test entwickelt, der das Risiko für ein klinisch signifikantes PCa (Gleason-Score ≥ 7) abschätzt: den „Stockholm 3-Test“ (Tabelle 1).[1]

 

Das vordefinierte STHLM3-Modell beinhaltet eine Kombination aus:   

Plasmaprotein-Biomarkern 

PSA, freies PSA, intaktes PSA, humanes Kallikrein 2, Mikroseminoprotein beta, Makrophagen-hemmendes Zytokin 1 

Genetische Polymorphismen  

232 Einzelnukleotid-Polymorphismen  

Klinische Variablen 

Alter, Familienanamnese, Vorgeschichte, früherer Biopsiestatus, Prostata-Tastuntersuchung 

Tabelle 1: Die ausführlichen Parameter des Stockholm3-Tests. 

 

Die Autoren konnten in einer kürzlich publizierten Auswertung der prospektiven, populationsbasierten, randomisierten, offenen, Nichtunterlegenheitsstudie STHLM3-MRI bereits zeigen, dass eine MRT-gesteuerte und systematische Standardbiopsie bei Männern mit suspektem MRT-Ergebnis, der traditionellen Standardbiopsie in Bezug auf die Entdeckung von klinisch relevantem PCa nicht unterlegen war und die Entdeckung von klinisch nicht bedeutendem PCa um 62% (95% KI 0,45-0,74) reduzierte.[2] In der vorliegenden Arbeit wurde nun untersucht, ob der Stockholm3-Test bei der PCa-Früherkennung zur Risikostratifizierung vor MRT und gezielten Biopsien eingesetzt werden kann.

 

Methodik

Zunächst wurden zwischen 2018 und 2020 49.118 Männer im Alter von 50-74 Jahren in der Region Stockholm zur Teilnahme an der STHLM3-MRI Studie eingeladen. Davon unterzogen sich 12.750 einem PSA-Test (eingeschlossene Patienten) – diejenigen mit einem Wert von ≥1,5 ng/ml wurden dem Stockholm3-Test unterzogen. Patienten mit einem PSA-Wert ≥3 ng/ml oder einem Stockholm3-Score ≥0,11 (Cut-off) wurden als Gruppe (n=2.293; 18%) mit einem erhöhten Risiko für ein PCa definiert und wie folgt randomisiert (2:3):

 

Der Standard-Arm umfasste Patienten, die eine systematische Prostatabiopsie erhielten (n=921).

 

Der experimentelle Arm umfasste Patienten, die eine biparametrische MRT, gefolgt von MRT-gesteuerter und systematischer Prostatabiospie nach verdächtigem MRT-Befund erhielten(n=1.372).

 

Der primäre Endpunkt war der Nachweis eines klinisch relevanten PCa bei der Prostatabiopsie, definiert als ein Gleason-Score ≥3 + 4. Zu den wichtigsten sekundären Endpunkten gehörten der Anteil der Männer mit klinisch insignifikantem Prostatakrebs (definiert als Gleason-Score von 3 + 3) und die Anzahl der durchgeführten Prostata-MRT- und Biopsieverfahren.

 

Die Arbeitsgruppe führte dazu zwei Analysen durch:

 

1. Stockholm3 (Cut-off-Werte: 0,11 und 0,15) versus PSA-Wert im experimentellen Arm (gepaarte Analysen).

2. Der Vergleich zweier Workflows: PSA plus Standardbiopsie versus Stockholm3-Test plus MRT-gesteuerte und systematische Biopsie (ungepaarte, randomisierte Analysen). Alle Analysen waren Intention-to-Treat.

 

Ergebnisse

 

Deskriptive Statistik

Das Durchschnittsalter aller eingeschlossenen Probanden betrug 61 Jahre (IQR 55-67). Der mediane PSA-Wert bei Einschluss lag bei 1,0 ng/ml (0,6-1,9). Die Compliance war im experimentellen Arm höher (86,3% vs. 73,2%).

 

Die Aussagekraft von Stockholm3 wurde mithilfe des Standard-Arms getestet: Zur Unterscheidung von klinisch signifikantem PCa war die AUC bei 0,76 (95% KI 0,72-0,80) für den Stockholm3-Test und bei 0,60 (0,54-0,65) für den PSA-Test (AUC-Differenz 0,16 [95% KI 0,10-0,22]).

 

Von den 1.372 Männern im experimentellen Arm hatten 929 (67,7 %) einen PSA-Wert von ≥3 ng/ml; 600 (43,7 %) weisen einen Stockholm3-Wert von ≥0,15 (Stockholm3≥15) auf und 1.021 (74,4 %) einen Stockholm3-Wert von ≥0,11 (Stockholm3≥11).

 

Beurteilende Analysen

In der Intention-to-Treat-Analyse entdeckte Stockholm3≥11 mehr klinisch signifikante PCa als der PSA-Test (227 vs. 192; RP 1,18 [95% KI 1,09-1,28]; p<0,0001 für Nicht-Unterlegenheit). Im Vergleich zu einem PSA-Wert ≥3 ng/ml wurden mit Stockholm3≥11 allerdings auch ähnlich viele niedrig-gradige PCa (Gleason-Score 3 + 3) entdeckt (50 vs. 41; RP 1,22 [95% KI 0,96-1,55]; p=0,053 für Überlegenheit) und eine größere Anzahl an MRT-Untersuchungen und Biopsien durchgeführt.

 

Stockholm3≥¹⁵, der so konzipiert wurde, dass er eine identische Anzahl klinisch signifikanter Prostatakarzinome erkennt wie ein PSA-Wert ≥3 ng/ml, war mit weniger MRT-Untersuchungen assoziiert (545 gegenüber 846; RP 0,64 [0,55-0,82]). Die Anzahl der Biopsien (311 vs. 338; 0,92 [0,86-1,03]) und die Entdeckung von niedrig-gradigen Karzinomen unterschied sich nicht signifikant (34 vs. 41; RP 0,83 [0,60-1,13]). Eine vorab definierte explorative Analyse, die die Daten von Männern mit MRT-gesteuerten Biopsien ohne begleitende systematische Biopsien ausschloss, änderte die Ergebnisse nicht wesentlich. Auch eine Post-hoc-Sensitivitätsanalyse, in der die Biopsie-Ergebnisse von Teilnehmern mit einem negativen MRT-Befund, aber einem sehr hohen PCa-Risiko ausgeschlossen wurden (n=34), zeigte ähnliche Ergebnisse wie die Primäranalyse.

 

Die Arbeitsgruppe verglich zudem zwei diagnostische Workflows: Stockholm3 in Kombination mit MRT-gesteuerter und systematischer Biopsie (Stockholm3 plus MRT; n=7.609) gegenüber traditionellem PSA-basierten Screening und systematischer Biopsie (PSA-Test plus Standardbiopsie; n=5.134). Der Stockholm3≥11 plus MRT entdeckte ein klinisch signifikantes PCa bei 227 (3,0 %) der getesteten Männer versus 106 (2,1 %) bei denjenigen mit PSA-Test plus Standardbiopsie (RP 1,44 [95 % KI 1,15-1,81]). Hinzu kommt: Stockholm3≥¹¹ plus MRT identifizierte weniger niedrig-gradige Karzinome (50 [0,7 %] vs. 73 [1,4 %]; 0,46 [0,32-0,66]) und hatte weniger Biopsien zur Folge als der PSA-Test plus Standardbiopsie. Beim Einsatz von Stockholm3≥¹⁵ plus MRT wäre bei 192 (2,5%) von 7.609 getesteten Männern ein klinisch signifikantes PCa festgestellt worden – dies entspricht einer relativen Verbesserung gegenüber PSA-Test plus Standardbiopsie von 1,22 (1,00-1,59).

 

Die Anwendung des aktualisierten Stockholm3≥¹⁵-Cut-off-Wertes reduzierte die Anzahl der durchgeführten Biopsien (311 [4,1%] vs. 438 [8,5%]; RP 0,48 [95% KI 0,42-0,57) und die Anzahl der entdeckten niedrig-gradigen Karzinome (34 [0,4%] vs. 73 [1,4%]; 0,31 [0,20-0,48) im Vergleich zu PSA-Test plus Standardbiopsie.

 

Außerdem wurde beobachtet, dass die Männer des experimentellen Arms weniger häufig Antibiotika aufgrund einer Infektion erhielten (25 [1,8 %] von 1.372 vs. 41 [4,4 %] von 921; p=0,0002). Zudem wurden sie seltener ins Krankenhaus eingewiesen (16 [1,2 %] vs. 31 [3,4 %]; p=0,0003) im Vergleich zum Standard-Arm.

 

Als letzten Schritt berechnete die Arbeitsgruppe die Anzahl der MRT- und Biopsie-Verfahren sowie die Anzahl der entdeckten PCa pro 10.000 untersuchten Männern. Im Vergleich zum Screening mit PSA und Standardbiopsie waren sowohl der Stockholm3≥¹¹ plus MRT als auch der Stockholm3≥¹⁵ plus MRT Workflow mit der Entdeckung von deutlich weniger niedrig-gradigen PCa sowie der Durchführung von weniger Biopsien als auch der Detektion einer höheren Anzahl klinisch signifikanter PCa assoziiert – allerdings auf Kosten von mehr durchgeführten MRT.

 

Fazit

 

Der Stockholm3-Test kann zur Risikostratifizierung vor MRT und gezielten Biopsien bei der Prostatakrebs-Früherkennung herangezogen werden. Insgesamt zeigt die vorliegende Analyse der STHLM3-MRI Studie, dass PCa-Diagnoseschemata, die eine multivariable Risikovorhersage wie den Stockholm3-Test und einen MRT-gesteuerten Biopsie-Ansatz beinhalten, die Rate an Überdiagnosen erheblich senken, im Vergleich zu herkömmlichen – auf PSA-Testung und systematischen Biopsien basierenden – Screening-Konzepten, ohne dass klinisch relevante PCa übersehen werden. So könnte laut Studienautoren der Stockholm3-Test in Kombination mit einer MRT-gezielten Biopsie dazu beitragen, die Sterblichkeit an PCa zu verringern und gleichzeitig die Rate an Biopsien sowie die Anzahl an durchgeführten MRT zu reduzieren.