Radikale Prostatektomie
oder Watchful Waiting?
 

Verlängert eine radikale Prostatektomie im Vergleich zu Watchful Waiting auch auf lange Sicht das Leben?

 

Bei Männern mit lokalisiertem Prostatakarzinom (PCa) ist die Mortalität bei Patienten, die sich einer radikalen Prostatektomie (RP) unterziehen, geringer als bei Männern, die abwartend beobachtet (Watchful Waiting, WW) werden. Allerdings gibt es nur wenige Belege aus randomisierten Studien mit Langzeit-Follow-up, die das Ergebnis stützen. Jetzt prüfte eine Arbeitsgruppe um Anna Bill‑Axelson (Uppsala, Schweden) in einem 29-Jahre-Follow-up der skandinavischen Prostatakrebs-Gruppenstudie Nr. 4 (SPCG-4), ob die RP in diesem Langzeit-Setting ihre Vorteile bestätigen kann.

 

Summary

 

Die skandinavische Prostatakrebs-Gruppenstudie Nr. 4 (SPCG-4) verglich das Therapiekonzept Watchful Waiting (WW) mit der radikalen Prostatektomie (RP). Im Zeitraum von Oktober 1989 bis Februar 1999 wurden 695 an einem lokalisierten Prostatakarzinom erkrankte Männer randomisiert (WW-Gruppe: n=348; RP-Gruppe: 347). Follow-up-Daten wurden bis 2017 erhoben.

 

Auch wenn die Mortalität von Männern mit RP geringer ist als bei denjenigen, die abwartend beobachtet wurden, gibt es hierzu nur wenige stützende Belege aus randomisierten Studien mit Langzeit-Follow-up. 29 Jahre nach dem Start der SPCG-4 führte jetzt eine Arbeitsgruppe um Anna Bill‑Axelson (Uppsala, Schweden) das Follow-up dieser Gruppenstudie durch. Zu diesem Zeitpunkt war ein Großteil der Patienten bereits verstorben (80%).

 

Die Ergebnisse zeigten, dass in der RP-Gruppe sowohl die Gesamtsterblichkeit als auch die Sterblichkeit am Prostatakrebs (PCa) niedriger war als in der WW-Gruppe. Bis zum 31. Dezember 2017 waren insgesamt 261 der 347 Männer in der RP-Gruppe und 292 der 348 Patienten in der WW-Gruppe verstorben. Davon verstarben 71 Männer in der RP-Gruppe und 110 in der WW-Gruppe an ihrem PCa. Aus dem relativen Risiko (RR) von 0,55 (95%-KI 0,41-0,74; p<0,001; absolute Risikodifferenz 11,7 Prozentpunkte; 95%-KI 5,2-18,2) ergibt sich damit für die Männer der RP-Gruppe ein um 45% geringeres Risiko, an ihrem PCa zu sterben. Die Patienten der RP-Gruppe hatten zudem ein geringeres Risiko, Metastasen zu entwickeln gegenüber den Männern, die abwartend beobachtet wurden.

 

Nach einer Follow-up-Dauer von 23 Jahren hatten die Patienten der RP-Gruppe im Median 2,9 Jahre an Lebenszeit gewonnen, im Vergleich zu WW.

 

Hinsichtlich der prognostischen Parameter erwiesen sich eine extrakapsuläre Extension und ein hoher Gleason-Score von 8 oder 9, basierend auf der histopathologischen Untersuchung des Prostatektomiegewebes der Patienten in der RP-Gruppe, als starke Prädiktoren dafür, dass der Patient an seinem PCa verstirbt.

 

Details

 

Hintergrund

 

Die skandinavische Prostatakrebs-Gruppenstudie Nr. 4 (SPCG-4) verglich das Therapiekonzept Watchful Waiting mit der radikalen Prostatektomie. Von Oktober 1989 bis Februar 1999 wurden 695 an einem lokalisierten Prostatakarzinom erkrankte Männer aus 14 Zentren in Schweden, Finnland und Island randomisiert. Bis Ende 2017 wurden Follow-up-Daten erhoben.

 

29 Jahre nach Studienbeginn wollte eine Arbeitsgruppe um Anna Bill‑Axelson (Uppsala, Schweden) in einem Langzeit-Follow-up untersuchen, ob der in früheren Auswertungen gezeigte Überlebensvorteil von RP im Vergleich zu WW anhielt und inwiefern sich dieser Vorteil in Bezug auf das Alter bei Diagnosestellung unterscheidet. Die Arbeitsgruppe interessierte, ob Protokollverstöße die Ergebnisse verzerrt hatten und wie viele Lebensjahre jeder Mann mit RP im Durchschnitt gewonnen hatte. Ferner wurde ausgewertet, inwieweit histopathologische Parameter eine langfristige Prognose für Patienten geben können, die sich einer RP unterzogen hatten.

 

Die Endpunkte der Studie umfassten Tod jeder Ursache, Tod durch Prostatakrebs und die Inzidenz von Fernmetastasen, wobei der Tod jeder Ursache als konkurrierendes Risiko behandelt wurde.

 

Insgesamt wurden 347 Männer nach dem Zufallsprinzip der RP und 348 Patienten der WW-Gruppe zugeordnet. Die Patientencharakteristika waren zu Studienbeginn in beiden Gruppen ähnlich. Das mediane Alter belief sich auf 65 Jahre. Lediglich 12% der Männer hatten bei Studienbeginn nicht tastbare Tumoren von Stadium T1c. Der mediane Wert des prostataspezifischen Antigens (PSA-Wert) betrug circa 13ng/ml. Bis zum 31. Dezember 2017 hatten sich insgesamt 294 der 347 Männer (85%) in der RP-Gruppe einer radikalen Prostatektomie unterzogen und 52 der 348 Männer (15%) der WW-Gruppe eine kurative Therapie erhalten. Das mediane Follow-up lag bei 23,6 Jahren und die minimale Nachbeobachtungszeit bei 20 Tagen. Der maximale beobachtete Follow-up-Zeitraum umfasste 28,0 Jahre und die maximale mögliche Nachbeobachtungszeit 29,3 Jahre.

 

Mortalität

 

Von allen in die Analyse eingeschlossenen Männern (n=695), waren bis Ende 2017 553 (80%) verstorben. Bei 181 Patienten (32%) konnten die Todesfälle auf PCa zurückgeführt werden, darunter gab es in der WW-Gruppe mehr Todesfälle als in der RP-Gruppe (n=110 vs. n=71). Ein Mann in der RP-Gruppe starb kurz nach der Operation. Nach 23 Jahren waren 71,9% der Männer in der RP-Gruppe und 83,8% in der WW-Gruppe verstorben (kumulative Inzidenz - Differenz 12,0 Prozentpunkte; 95%-KI 5,5-18,4). Das korrespondierende relative Risiko basierend auf Daten für den vollständigen Follow-up-Zeitraum war 0,74 (95%-KI 0,62-0,87; p<0,001). Die kumulative Inzidenz des Todes durch PCa nach 23 Jahren fiel mit 19,6% versus 31,3% ebenfalls zugunsten der RP-Gruppe aus (Differenz 11,7 Prozentpunkte; 95%-KI, 5,2-18,2), das relative Risiko für den gesamten Follow-up-Zeitraum betrug 0,55 (95%-KI 0,41-0,74; p<0,001). Nach 23 Jahren Follow-up hatten die Männer der RP-Gruppe im Median 2,9 Jahre an Lebenszeit gewonnen, im Vergleich zu WW.

 

Fernmetastasen

 

Mit Blick auf Fernmetastasen wurde diese Komplikation bei 92 Männern in der RP-Gruppe und bei 150 Männern in der WW-Gruppe diagnostiziert. Nach 23 Jahren lag die kumulative Inzidenz von Fernmetastasen in der RP-Gruppe bei 26,6% und der WW-Gruppe bei 43,3% (Differenz: 16,7 Prozentpunkte; 95%-KI 9,6-23,7). Bei den Patienten, die sich einer radikalen Prostatektomie unterzogen hatten, war das Risiko, während der vollständigen Nachbeobachtungszeit Fernmetastasen zu entwickeln um 46% niedriger gegenüber den Patienten, die abwartend beobachtet wurden [relatives Risiko (RR), basierend auf Daten aus der vollständigen Nachbeobachtungszeit 0,54 (95%-KI 0,42-0,70; p<0,001].

 

Alterseffekte

 

Die Analyse der Alterseffekte ergab, dass der klinische Benefit einer RP bei den Männern, die zum Zeitpunkt der Prostatakrebsdiagnose jünger als 65 Jahre waren in allen drei untersuchten Endpunkten größer war als bei den älteren Patienten (≥65 Jahre): Bei den jüngeren Männern der RP-Gruppe war die Gesamtmortalität um 15,0 Prozentpunkte niedriger, die Mortalität um 15,1 Prozentpunkte niedriger und das Risiko Metastasen zu entwickeln um 18,6 Prozentpunkte niedriger, verglichen mit den Patienten der WW-Gruppe. Bei den Männern, die zum Zeitpunkt der Diagnose 65 Jahre oder älter waren, fielen die Unterschiede zwischen den Gruppen für alle untersuchten Endpunkte geringer aus.

 

Per-Protocol-Analysen bestätigen Ergebnisse

 

Um systematische Fehler oder Nichteinhaltung der Behandlung auszuschließen, wurden per Protocol-Analysen durchgeführt. In diese Per-Protocol-Analysen wurden alle Männer eingeschlossen, die mindestens ein Jahr überlebt hatten. Diese Analysen wurden auf Basis der Therapien durchgeführt, welche die Patienten im ersten Studienjahr erhielten. Männer der WW-Gruppe, bei denen während dieser Zeit eine RP oder eine Lymphknotendissektion durchgeführt wurde, waren ausgeschlossen. Dasselbe gilt auch für Patienten der RP-Gruppe, bei denen keine radikale Prostatektomie durchgeführt wurde. Bei allen in die Per-Protocol-Analyse eingeschlossenen Patienten lag das relative Risiko aus jeder Ursache zu sterben bei 0,70 (95%-KI 0,59-0,83). Bei Patienten, die jünger als 65 Jahre waren, betrug dieser Parameter 0,57 (95%-KI 0,44-0,75) und bei Patienten, die 65 Jahre oder älter waren, 0,83 (95%-KI 0,66-1,04). Das entsprechende relative Risiko aufgrund von Prostatakrebs zu sterben, lag entsprechend bei 0,45 (95%-KI 0,33-0,61) bzw. 0,41 (95%-KI, 0,27-0,62) bzw. 0,47 (95%-KI 0,29-0,76). In Bezug auf die Entwicklung von Fernmetastasen wurde bei allen in die Per-Protocol Auswertungen eingeschlossenen Patienten ein relatives Risiko von 0,43 berechnet (95%-KI 0,33-0,57), bei den jüngeren Männern betrug das relative Risiko 0,41 (95%-KI 0,28-0,59) und bei den älteren Männern 0,45 (95%-KI 0,30-0,67).

 

Die Ergebnisse der Per-Protocol-Analyse unterschieden sich nicht von den Ergebnissen der Intention-to-Treat-Population. Dies bedeutet, dass die wesentlichen Ergebnisse der Studie nicht auf systematische Fehler oder Nichteinhaltung der zugewiesenen Behandlung zurückzuführen sind.

 

Langzeitprognose – auf Basis der histopathologischen Untersuchungen

 

Von insgesamt 283 Männern in der RP-Gruppe wurde das Tumorgewebe histopathologisch untersucht. Bei rund jedem Dritten wurde ein positiver Schnittrand festgestellt (35%, n=99). Ein positiver Schnittrand war nur dann mit einer schlechteren Prognose assoziiert, wenn die statistische Analyse in Bezug auf das Alter (<65 vs. ≥65 Jahre) angepasst wurde. Wurde zusätzlich auf andere Faktoren angepasst, wie PSA-Wert, Schnittränder, extrakapsuläre Extension und Gleason-Score) war das Risiko an Prostatakrebs zu sterben, bei Patienten mit positiven und negativen Schnitträndern nahezu gleich (RR 1,16; 95%-KI 0,62-2,15).

Diese Patienten hatten ein 5-mal so hohes Risiko, an ihrer Erkrankung zu sterben, als Patienten mit einem lokalisierten Tumor (29% vs. 6%; RR 5,21; 95%-KI 2.42-11.22). Ein Großteil der Männer, die in der RP-Gruppe gestorben waren, hatte eine extrakapsuläre Extension.

 

Bei den Patienten mit einem Gleason-Score von 3 bis 6 war das Risiko an ihrem Tumor zu sterben, ähnlich hoch wie bei denjenigen mit einem Score von 3+4 (RR 0,99; 95%-KI 0,23-4,33), während das Risiko prostatakrebsbedingt zu sterben bei den Patienten mit einem Gleason-Score von 4+3 fast 6-mal so hoch war (RR 5,73; 95%-KI 1,59-20,67). Unter den Männern mit einem Gleason-Score von 8 oder 9 (kein Mann hatte einen Score von 10) war das relative Risiko, an ihrem PCa zu sterben,10-mal so hoch gegenüber Patienten mit einem Score von 3 bis 6 (RR 10,63; 95%-KI 3,03-37,30).

 

Lebensqualität

 

In der vorliegenden Analyse wurde die Lebensqualität nicht ausgewertet. Wie Studienautorin Anna Bill‑Axelson berichtet, war in einer früheren Veröffentlichung der SPCG-4 die Lebensqualität in beiden Gruppen vergleichbar. In einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung zur Wirkung der Androgendeprivationstherapie (ADT) berichteten die Männer, die ohne ADT abwartend beobachtet wurden über die höchste Lebensqualität, die derjenigen von jüngeren Männern ohne Prostatakrebs ähnlich war. Dagegen wiesen Patienten, die während der abwartenden Beobachtung eine Krankheitsprogressionen erfuhren, welche die Einleitung einer ADT erforderte, die niedrigste Lebensqualität auf.

 

Bewertung der Ergebnisse

 

Männer mit einem diagnostizierten lokalisierten PCa und einer langen Lebenserwartung gewinnen durch eine RP im Median 2,9 Jahre an Lebenszeit, verglichen mit Patienten, die abwartend beobachtet wurden. Ein hoher Gleason-Score sowie eine extrakapsuläre Extension erwiesen sich als zuverlässige Prädiktoren für einen prostatakarzinombezogenen Tod.

REFERENZEN