PATIENT & PRAXIS

Schlechte Nachrichten gut überbringen:

Tipps für mehr Sicherheit

 

Charité-Studie offenbart Bedürfnis, für Gespräche zu lebensverändernden Diagnosen besser geschult zu werden.

 

Wenig Klarheit in einem Bereich der Kernkompetenz

 

Das Überbringen von schlechten Nachrichten ist eine Kernkompetenz, die Ärztinnen und Ärzte beherrschen müssen. Zwar findet das Thema in den universitären Curriculae mehr und mehr Berücksichtigung, doch offenbar reicht das Aus- und Fortbildungsangebot bei weitem nicht – das zeigt eine aktuelle Studie des Forschungsteams der Berliner Charité um Prof. Dr. Jalid Sehouli und Dr. med. Klaus Pietzner mit dem Titel „Breaking Bad News“.1 Die Umfrage unter über 1.300 Studierenden, Ärztinnen und Ärzten ergab, dass das Überbringen schlechter Nachrichten keinesfalls ein Thema ist, bei dem Klarheit herrscht. Vielmehr besteht ein großes Bedürfnis, auf diese belastenden Situationen besser vorbereitet zu sein und über adäquate Instrumente sowie ausreichend Zeit zu verfügen.

 

Mehr als die Hälfte hat keine spezifischen Kenntnisse

 

Für ein Gespräch über schlechte Nachrichten mit der Patientin oder dem Patienten wünschten sich 40 Prozent der Ärztinnen und Ärzte mehr als 20 Minuten – also deutlich mehr Zeit als sie haben. Über die Hälfte verneinte die Frage, ob sie für diese Art Gespräche bestimmte Kenntnisse oder Techniken habe. Im Mittel haben sich die Befragten im Studium lediglich 1,7 Stunden mit dem Thema beschäftigt, in der Weiterbildung kam eine Stunde hinzu, im Selbststudium 1,7 Stunden. In der Umfrage zeigte sich zudem, dass der Bedarf viel höher ist. So wünschten sich 80 Prozent Seminare mit Simulationspatientinnen und -patienten, 90 Prozent waren der Meinung, das Thema gehöre ins Medizinstudium. Als Barriere, sich mit dem Thema systematisch zu befassen nannten 27 Prozent Zeitmangel. Die Studie schließt mit der nachdrücklichen Aufforderung an Krankenhäuser, Behörden, medizinische Fakultäten und Weiterbildungsprogramme, die Lücke an Ausbildung und Training in der Kommunikation von schlechten Nachrichten zu schließen.

 

Gute Kommunikation essenziell für personalisierte Medizin

 

Studienautor Prof. Dr. Jalid Sehouli, Chefarzt für Gynäkologie an der Berliner Charité, fing nach einer einschneidenden eigenen Erfahrung als junger Arzt damit an, sich mit dem Thema Breaking Bad News zu beschäftigen. Rund 25 Berufsjahre später bemerkte er beim Verfassen seines Buches „Von der Kunst, schlechte Nachrichten gut zu überbringen“2, wie wenig Wissenschaft zu diesem Thema existiert. Um den Stand der Kommunikation von Bad News zu erheben, initiierte er die aktuelle Studie – und bricht heute eine Lanze für eine bessere Anerkennung der Kommunikation im ärztlichen Alltag. „Das Ganze muss auch enger verbunden sein mit der Patientensicherheit. Und das muss in die Vergütung einfließen“, sagt Sehouli in einem Interview mit „der niedergelassene Arzt“.3 „Wie soll denn personalisierte Medizin überhaupt funktionieren – ohne gute Kommunikation? Was nutzt eine aufwendige Sequenzierung im Rahmen der sogenannten personalisierten Medizin, wenn wir das Gespräch dazu nicht führen?“

 

Empfehlungen für das richtige Setting

 

Das Buch von Sehouli ist für Ärztinnen und Ärzte, die sich auf einem schnellen und einfachen Weg mehr Know-how im Umgang mit der Überbringung schlechter Nachrichten aneignen wollen, ein guter Einstieg. Mit der Erlaubnis des Autors geben wir Ihnen in unserem heutigen Newsletter einen Überblick über die wichtigsten Empfehlungen.4

 

ABC-Regel für das richtige Setting: Wann-Wo-Wer?

 

A: Wann und wie lange?

 

  • Sobald wie möglich (für den Patienten) und nötig (für eine Entscheidungsfindung in einer Situation), wenn alle Befunde vorliegen. In der Klinik möglichst nicht spät abends. Falls nicht anders möglich, für anschließenden Support sorgen. In der Praxis Randtermine reservieren. Von vornherein zwei oder mehr Gespräche veranschlagen. Etwaige Dauer: 15–30 Minuten, nur in Ausnahmefällen länger, weil die Aufnahmefähigkeit der Patienten nach der Kernbotschaft deutlich reduziert ist.

 

B: Wo?

 

  • Versuchen Sie einen geschützten und stabilen physischen und atmosphärischen Raum für das Gespräch zu schaffen. Möglichst in einem separaten Raum; Mitpatienten hinausbitten Telefon ausschalten oder umleiten Taschentücher bereitstellen

 

C: Wer?

 

  • Vertrauter Arzt, evtl. mit Team-Mitglied (z.B. betreuender Pflegekraft) oder Angehörigem

 

Hilfreiche Checklisten für Arzt, Patient und Angehörige

 

Weitere Tipps gibt es für die Vorbereitung des Gesprächs selbst. Für Ärztinnen und Ärzte formuliert Sehouli zehn goldene Regeln, für Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige detaillierte Checklisten. Alle Checklisten sind in sorgfältiger Ausarbeitung aktueller Literatur entstanden.4

 

Für die Ärztin/den Arzt: 10 Regeln für das Überbingen schlechter Nachrichten

 

  • Regel 1: Investieren Sie Zeit in die Vorbereitung.
  • Regel 2: Beachten Sie die inhaltliche und zeitliche Beschränkung und sprechen Sie diese vorab auch an.
  • Regel 3: Gewinnen Sie Angehörige als Verbündete und Unterstützer, wenn diese für die Patienten wichtig sind (aber fragen Sie die Patienten, ob sie diese Allianz auch wollen).
  • Regel 4: Stellen Sie viele offene Fragen, die dem Patienten keine Antwortmöglichkeit vorgeben. Unterbrechen Sie Ihr Gegenüber nur, wenn unbedingt nötig.
  • Regel 5: Respektieren Sie subjektive eigene Erklärungsmodelle, bewerten Sie nicht.
  • Regel 6: Loten Sie den aktuellen Wissensstand Ihres Gegenübers aus und holen Sie den Patienten dort ab, wo er steht.
  • Regel 7: Geben Sie eine Warnung, bevor Sie eine negative Information oder Botschaft überbringen.
  • Regel 8: Lassen Sie Ihrem Gegenüber nach der Kernbotschaft Zeit, diese anzunehmen, nutzen Sie die Pause, Ihre eigenen und die Emotionen des Patienten wahrzunehmen.
  • Regel 9: Besprechen Sie praktisch Handhabbares.
  • Regel 10: Heben Sie das Gute hervor, schließen Sie mit etwas Positivem.

 

Die Checklisten für Patientinnen und Patienten enthalten wichtige Schlüsselfragen und Empfehlungen zu Reflexion und Reaktion. Unter anderem sollen sich Patienten fragen, wer sie zu dem Termin begleiten soll, wie es gelingt, alle Informationen sowie die Kernbotschaft zu erfassen und was die nächsten praktischen Schritte sein könnten. Angehörige wiederum erhalten Tipps für das Verhalten während des Gesprächs und danach – inklusive der Klärung der Frage, ob eine weiterführende professionelle Unterstützung sinnvoll sein kann. Die Checklisten für Patienten und Angehörige sind für Ärztinnen und Ärzte eine zusätzliche Unterstützung: Sie können diese sowohl den betroffenen Personen an die Hand geben, als auch damit ihre eigene Vorbereitung vertiefen.