Der UroBlog von
PD Dr. Frank König
(Berlin)
 

Biomarker in der urologischen Praxis?

 

Personalisierte oder Precision-Medizin ist in aller Munde. Die Vorstellung einer maßgeschneiderten Therapie für jeden Tumor-Patienten wird bereits seit einigen Jahren diskutiert. Aber was ist eigentlich bisher in der täglichen Routine einer urologischen Praxis angekommen? Wünschenswert wäre doch ein nichtinvasiver Blut-, Speichel- und/oder Urintest, welcher die Frage nach der passenden Therapie für den einzelnen Patienten beantwortet. Die sog. „liquid biopsy“ versprach das Aufspüren von zirkulierenden Zellen und DNA/RNA-Fragmenten des Tumors im Blut und durch deren Analyse eine zielgerichtete Therapieempfehlung. Die genetische Katalogisierung der verschiedenen Neoplasien ist aktuell sehr weit fortgeschritten. Die Ergebnisse dieser Forschungen sind zwar sehr vielversprechend aber bisher ist ein Einsatz in der Praxis nicht in Sicht.

 

Betrachten wir die einzelnen Tumorentitäten:

 

Beim Hodentumor setzen wir bereits seit vielen Jahren regelmäßig Tumormarker ein. AFP, ß-HCG, LDH und PLAP bilden neben der Histologie des entfernten Karzinoms die Grundlage für ein angepasstes Therapieschema. Mit einer Heilungsrate von deutlich über 90% besteht aktuell die Herausforderung bei diesem Tumor eher in der Vermeidung einer Übertherapie und in der Reduktion der therapiebedingten Neben- und Spätwirkungen. Bezüglich einer verbesserten Früherkennung kommen vielsprechende Neuigkeiten aus Hamburg. Dieckmann und Kollegen haben den Signalstoff M371 entdeckt, welcher bei 90% der Hodentumorpatienten und bereits bei Tumoren einer Größe von < 1cm nachweisbar sein soll. Der Einsatz in der Praxis wird von den Entwicklern für Anfang des nächsten Jahres in Aussicht gestellt. Die Kosten für den Test sind bisher nicht bekannt.

 

Das Peniskarzinom wird in der Regel zunächst durch Blickdiagnose entdeckt. Nach Entfernung und histologischer Sicherung des Karzinoms basiert die Wahl der Behandlung eher auf der Ausbreitungs-diagnostik durch Bildgebung und Entfernung der Sentinel-Lymphknoten. Als Biomarker kann optional zwar SCC (squamous cell carcinoma antigen) bestimmt werden, hat aber eigentlich keinen wesentlichen Einfluss auf die Therapieentscheidung.

 

Auch beim Nierentumor kommen bisher keine Biomarker zum Einsatz. Am häufigsten ist der Zufallsbefund einer Raumforderung im Rahmen einer Ultraschalluntersuchung. Die Charakterisierung des Tumors erfolgt durch Biopsie bzw. durch die pathologische Untersuchung nach Nephrektomie. Basierend auf CT oder MRT erfolgt die Wahl der Therapie dann in Abhängigkeit von der Histologie und dem Vorhandensein von Metastasen.

 

Prädestiniert für den Einsatz insbesondere von Urin-Biomarkern ist eigentlich das Urothelkarzinom. Aber trotz einiger vielversprechender Ansätze ist bis heute kein verlässlicher Test im routinemäßigen Einsatz. Das liegt zum großen Teil daran, dass wir mit der Urinzytologie bereits einen sehr sensitiven Test (>90%) zum Aufspüren von high grade-Zellen haben und alle neuen Verfahren sich an dieser Methode messen lassen müssen. Allerdings hängt die Zytologie entscheidend von der Erfahrung des Untersuchers ab und erfordert ein hohes Maß an Sorgfalt und Erfahrung bei der Erstellung der Präparate. Empfehlenswert ist eine Permanentfärbung der Zellen (z.B. nach Papanicolaou), damit im Zweifel eine Zweitmeinung durch einen erfahrenen Pathologen eingeholt werden kann. Weit verbreitet sind Teste wie UBC und NMP22. Allerdings ist die Diagnose von Karzinomen, welche allein auf dem Ergebnis dieser Marker basiert äußerst selten. Sensitivität und Spezifität sind zu gering, als dass eine generelle Empfehlung durch urologische Leitlinien gegeben werden könnte. Aufwendige und kostenintensive Verfahren wie z.B. FISH oder Immunhistochemie zur Analyse von Genveränderungen sind zwar in der Sensitivität besser als die letztgenannten point-of-care-Teste, aber erzielen keinen wesentlichen Zusatznutzen im Vergleich zur Urin-Zytologie.

 

Das Prostatakarzinom (PCa) bildet nicht nur allein durch den zahlenmäßig höchsten Anteil an Patienten eine Herausforderung. Die Besonderheit liegt in der nachweislichen Überdiagnostik und Übertherapie durch den alleinigen Einsatz von PSA. Andere Biomarker werden dringend benötigt, sind aber bisher nicht zur Marktreife geführt worden.

 

Im Rahmen der Früherkennung des PCa soll gemäß der aktuellen S3-Leitlinie in Deutschland eine Prostatabiopsie bei einer PSA-Wert-Erhöhung von ≥ 4 ng/ml durchgeführt werden. Folgt man dieser Empfehlung in der täglichen Routine einer urologischen Praxis so zeigen die Ergebnisse der ERSPC (The European Randomized study of Screening for Prostate Cancer)-Studie, dass nur bei ca. 25% der Männer ein Karzinom gefunden wird. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass bei ca. 75% der gescreenten Männer mit der Biopsie eine invasive Prozedur mit potentiellen Risiken wie Blutung, Infektion, Darmverletzung und Schmerzen unnötigerweise erfolgt.

 

Auf der Suche nach einem Ausweg aus diesem diagnostischen Dilemma empfehlen deutsche und europäische Leitlinien auf Grund aktueller Studiendaten bei fraglicher PSA- Werterhöhung den zusätzlichen Einsatz der multiparametrischen Magnetresonanztomographie (mpMRT) der Prostata und die Verwendung von validierten Nomogrammen vor einer geplanten Prostatabiopsie. Durch die European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) wird als ein solches Nomogramm der Rotterdam- Risikokalkulator (RK) der Prostate Cancer Research Foundation (SWOP) empfohlen. In diesem RK waren zunächst neben dem t-PSA die klinischen Parameter Alter, DRU und TRUS integriert. Neuerdings wurde der RK um den sog. Prostate-Health-Index (PHI) erweitert.

 

PHI wird bereits seit einigen Jahren als zusätzlicher Biomarker im Rahmen der Früherkennung des PCa insbesondere bei PSA-Erhöhung im Bereich zwischen 2 und 10 ng/ml empfohlen. Der PHI- Wert berücksichtigt neben Gesamt-PSA (t-PSA) und prozentualem Anteil des freien PSA (f-PSA%) zusätzlich das [-2]pro-PSA (p2-PSA). Die PHI-Berechnung erfolgt nach der Formel: PHI = p2-PSA/f-PSA × √t-PSA.
Analog zur PSA-Dichte kann auch die PHI-Dichte (PHID) bestimmt werden, indem PHI durch das Prostata-Volumen geteilt wird. Auf Grund der soliden Datenlage erfolgte bereits 2012 die Zulassung von PHI durch die Food and Drug Administration (FDA) für den Einsatz zur Unterscheidung von benignen und malignen Prostataveränderungen bei Männern über 50 Jahre mit einem PSA zwischen 4 und 10 ng/ml und einer unauffälligen DRU. Basierend auf zahlreichen Studien gelten je nach Höhe des bestimmten Wertes Karzinomwahrscheinlichkeiten: für Werte <21 von 8.4%, für <40 von 21% sowie bei Werten ≥40 von 44%. In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass die PHID im Vergleich zu PHI in den ROC-Analysen noch höhere AUC- Werte (>0.8) erreicht und somit eine verbesserte Vorhersage von klinisch signifikanten Prostatakarzinomen vor Prostatabiopsie ermöglicht.

 

Bei der Diskussion zum Thema Screening ist der Kostenfaktor für das Gesundheitssystem von entscheidender Bedeutung. In den letzten Jahren wurde durch den Einsatz und die Standardisierung des mpMRT zweifellos eine deutliche Verbesserung der Früherkennung des PCa erreicht. Eine Kombination des mpMRT und PHI/PHID ist naheliegend. Aus Gründen der Kosteneffizienz ist jedoch der Einsatz von PHI/PHID (Kosten ca. 100 €) als eine Art Triage zur Selektion geeigneter Patienten vor der Durchführung des mpMRT mit Kosten von mehreren hundert Euro anzustreben. PHI/PHID aber auch neue Biomarker beim PCa sollten zukünftig in RK eingebunden und in kontrollierten prospektiven Studien validiert werden.

 

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass trotz zahlreicher Anstrengungen bisher kaum neue Biomarker für die Anwendung in der Praxis zur Verfügung stehen. Es kommt derzeit eher darauf an, die vorhandenen Biomarker wie z.B. die Urinzytologie und PHI konsequent einzusetzen. Insbesondere beim Prostatakarzinom sollten vermehrt validierte Risikokalkulatoren zur Vermeidung einer Überdiagnostik bzw. Übertherapie genutzt werden.