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Künstliche Intelligenz in der Krebsmedizin:

Chancen, Risiken, Grenzen

 

Unabhängig von Art und Einsatz: Die ärztliche Kompetenz entscheidet über den Erfolg von KI

 

Verarbeitung riesiger Datenmengen

 

Künstliche Intelligenz basiert auf der blitzschnellen Analyse riesiger Datenmengen durch Computerprogramme, die mithilfe sich selbst anpassender Algorithmen Muster und Gesetzmäßigkeiten in den Daten erkennen. Dabei kann es sich um Muster in Bildern handeln – wie bestimmte Zellen oder anatomische Strukturen – oder um Beziehungen zwischen verschiedenen Daten wie Laborbefunden und Informationen zum Behandlungsverlauf. Das Gelernte wird verallgemeinert und in Form von mathematischen Modellen abgespeichert. Nach einem gelungenen Trainingsprozess ist das Computerprogramm in der Lage, auf ähnliche neue Ereignisse adäquat zu reagieren.

 

Schnelle und präzise Diagnostik auch beim PCa

 

KI-Systeme in unterschiedlicher Komplexität spielen schon jetzt in vielen Bereichen der Medizin eine wichtige Rolle – von Apps zur Früherkennung von Krankheiten bis hin zu personalisierten Krebsbehandlungen. Für die Krebsdiagnostik haben Forschende am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) beispielsweise ein Computersystem entwickelt, das mithilfe künstlicher Intelligenz eine akute myeloische Leukämie (AML) und eine für die Therapie wichtige Mutation in weniger als zehn Sekunden präzise erkennen kann. Ein weiteres Projekt im Bereich Hautkrebs will ein KI-basiertes Assistenzsystem zur Erkennung von malignen Melanomen in den klinischen Alltag übertragen. (1) Künstliche Intelligenz kann auch ein Prostatakarzinom mit hoher Sicherheit durch die Beurteilung von Biopsie-Proben identifizieren. Das fanden Forscher des University of Pittsburgh Medical Center (UPMC) 2020 einer Studie heraus. Ein speziell trainierter Algorithmus unterstützt nicht nur bei der Diagnose, sondern liefert darüber hinaus Informationen über die Krebszellen: die Tumorgröße, das Grading, die Aggressivität, den Gleason-Score oder ob bereits eine perineurale Infiltration stattgefunden hat. Diese Parameter fließen in den pathologischen Befund mit ein und können so zur Behandlung beitragen. Die Ergebnisse der Studie sind vielversprechend. Laut Aussage der Autoren müssten die neuen Algorithmen jetzt darauf trainiert werden, noch weitere Arten von Krebs identifizieren zu können. (2)

 

KI hilft bei Entscheidungen, nimmt sie aber nicht ab

 

Wegen des enormen Potenzials ist die Anwendung von künstlicher Intelligenz in der Medizin mit hohen Erwartungen verknüpft. In der Onkologie kann sie dazu beitragen, in naher Zukunft jeder Patientin und jedem Patienten eine individuell zugeschnittene Therapie zu ermöglichen. Sie weckt aber auch Ängste dahingehend, dass sie sich etwa negativ auf die Arzt-Patient-Beziehung auswirken könnte. Prof. Martin Bornhäuser, Mitglied im geschäftsführenden Direktorium des NCT/UCC und Direktor der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Dresden, betont deshalb: „Trotz aller Fortschritte in der KI-Forschung liegt die Verantwortung für medizinische Entscheidungen heute wie in Zukunft bei der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt. Künstliche Intelligenz kann den Medizinerinnen und Medizinern lediglich wichtige Entscheidungshilfen liefern.“ (1)

 

Ethikkommission gibt Orientierung

 

Die Zentrale Ethikkommission (ZEKO) bei der Bundesärztekammer hält ärztliche Erfahrung für unabdingbar beim KI-Einsatz in der Medizin und hat deshalb eine Stellungnahme zur „Entscheidungsunterstützung ärztlicher Tätigkeit durch Künstliche Intelligenz“ erarbeitet. (3) Im Fokus stehen sogenannte „Clinical Decision Support Systems“ (CDSS) – KI-basierte Datenverarbeitungssysteme, die Ärztinnen und Ärzte bei ihrer Entscheidungsfindung unterstützen sollen. In der Stellungnahme werden unter anderem der aktuelle Entwicklungsstand von KI-basierten CDSS skizziert und Fragen aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Perspektive beleuchtet, die mit dem Einsatz solcher Systeme für die ärztliche Tätigkeit verbunden sind. „Die Stellungnahme soll dazu beitragen, für die ethischen Herausforderungen bei der Entwicklung und dem Einsatz von KI-basierten CDSS zu sensibilisieren“, sagt der Vorsitzende der ZEKO, Prof. Dr. jur. Jochen Taupitz in einer Pressemitteilung der Bundesärztekammer. Der Jurist weist darauf hin, dass auch KI nicht frei von Fehlern sein werde und betont, wie wichtig es sei, dass sich Ärztinnen und Ärzte mit den Besonderheiten der KI-gestützten Entscheidungsassistenz befassen.

 

Lernangebote ausbaufähig

 

KI-Kompetenz in der Medizin ist also gefragt, das Lernangebot aber ausbaufähig. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Charité. (4) Der Analyse zufolge bietet die Mehrheit (28/39) der medizinischen Ausbildungsstätten in Deutschland zwar KI-bezogene Veranstaltungen an, meist jedoch nur als Wahlpflichtkurse oder extracurriculare Aktivitäten. „Diese Studie zeigt deutlich, dass bestehende Angebote im Medizinstudium und in der medizinischen Weiter- und Fortbildung nicht den immensen Qualifizierungsbedarf decken“, sagt Studienautor Felix Balzer, Direktor des Instituts für Medizinische Informatik und Chief Medical Information Officer (CMIO) der Charité. „Ärztinnen und Ärzte stehen selbst in der Verantwortung, an der Transformation der Medizin durch KI mitzuwirken. Dafür müssen sie mithilfe von Lernangeboten zum Aufbau von KI-Kompetenzen zunächst befähigt werden." (5)

 

KI in der Medizin braucht Absicherung

 

Verbesserungsfähig ist auch die Sicherheit von KI-Anwendungen, die maßgeblich von der Qualität der Daten abhängt. Denn kognitive Systeme werden anhand von aufbereiteten Datensätzen trainiert, um Muster erkennen zu können. Doch im Gesundheitswesen sind diese Daten teilweise kaum verfügbar, beispielsweise in der Diagnose von seltenen Erkrankungen. Zudem können komplexe KI-Algorithmen und deren Entscheidungen durch Fachpersonal nur schwer überprüft werden, weil nicht klar ist, welche Daten für die Entscheidung grundlegend sind. Mit der Frage, wie man intelligente Systeme verlässlich und sicher machen kann, beschäftigt sich ein eigener Forschungsbereich des Fraunhofer-Instituts. Unter anderem bringen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der künstlichen Intelligenz das Zweifeln bei, um Fehlentscheidungen zu vermeiden. Sind Daten nicht ausreichend oder minderwertig, registriert das System diese Unsicherheit und macht darauf aufmerksam. (6)